Am Sonntag wird in Berlin gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs demonstriert. Aus guten Gründen sollte Kritik an den Veranstaltern geübt, die Veranstaltung selbst aber unterstützt werden. Das ist vielen zuviel der Dialektik, denn nun regt sich erhebliche Abwehr gegen die Demonstration. Die einen wollen nicht mit zuviel Deutlichkeit den Mainstream der Deutschen verschrecken, während andere, von denen man das nicht erwartet hätte, derweil dem »organisierten Judentum« die Leviten lesen. Sie alle lassen Israel im Stich.
Eine prozionistische Kollaboration von Lizas Welt [1] und Hector Calvelli.
Wer im wiedergutgemachten Deutschland zu jener kleinen Minderheit gehört, die nicht achselzuckend oder gar mit Befriedigung die existenzielle Bedrohung zur Kenntnis nimmt, die vom iranischen Atomprogramm für Israel ausgeht, findet hierzulande kaum Adressaten für seine Forderung, die Mullahs sollten von ihrem eliminatorischen Tun abgehalten und der jüdischen Staat stattdessen mit allen Mitteln – auch militärischen – unterstützt werden. Denn er sieht sich sowohl einer politischen Ökonomie der Eliten gegenüber, die sich durch beste Beziehungen zu den Feinden Israels auszeichnet, als auch dem antizionistischen Mainstream im Fuß- und Wahlvolk, das in den Juden die Reinkarnation der Nazis erblickt und in den Palästinensern die Opfer der Opfer. Der Appell an die Vernunft ist daher ein fast aussichtsloses Unterfangen, denn er muss zwangsläufig dort verhallen, wo längst nur noch das Ressentiment waltet – und das ist nicht allein an den politischen Rändern zu Hause, sondern auch in jener Mitte der Gesellschaft, die es wie stets zu erreichen gilt, will man seinen Minderheitenstatus nicht auf ewig festgeschrieben sehen.
Das deutsche Zentrum ist in seiner Mehrheit – die man nicht zuletzt mit der Warnung zu überzeugen versucht, Europa würde am Ende selbst die Zielscheibe von Ahmadinedjad und seinen willigen Helfern –mit der Äquidistanz, also der wohlfeilen Parteinahme gegen Israel, und der Appeasement-Politik gegenüber den Mullahs gänzlich einverstanden. Wobei Appeasement zunehmend ein irreführender Begriff ist: Wird der Islamismus gar als Avantgarde gegen die ›wahren‹ Aggressoren USA und Israel interpretiert, so kann von einer Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse schon keine Rede mehr sein; der treffendere Begriff ist: Kollaboration. Dementsprechend ist die europäische Politik gegenüber dem Iran weniger von der Angst vor der Atombombe geprägt, denn von der Zustimmung für die ›berechtigten‹ Interessen der Mullahs. [2]
Eine World without Zionism ist deren sehr konkrete Utopie. Sie wurde unzählige Male formuliert, insbesondere vom iranischen Präsidenten höchstselbst. Der Mann meint, was er sagt, und er sagt, was er meint. Keine Gelegenheit lässt er aus, um die Shoa zu bestreiten und die Seinen als Opfer einer zionistischen Verschwörung zu verkaufen, die es per Massenvernichtungswaffen aus der Welt zu räumen gelte. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum, und wer angesichts dessen nicht erstens dem jüdischen Staat die Mittel lässt, die er zu seiner Verteidigung für notwendig erachtet, und ihn zweitens nicht nach Kräften unterstützt, macht sich, bewusst oder nicht, zum Komplizen des antisemitischen islamischen Terrors. Wer gegenüber dem eliminatorischen Antisemitismus zu Dialog und Kompromissen rät, der sollte sich vergegenwärtigen, dass derlei Vorgehen von denen, die sie als Schwäche betrachten, nur dazu benutzt werden, um das Drohpotenzial erst recht zu entfalten und Konsequenzen folgen zu lassen. Doch deutsche Politik changiert zwischen Appeasement und Kollaboration und erfährt dafür vom Volke breite Unterstützung, und deshalb braucht man nicht auf ›Massen‹ zu hoffen, sondern muss vielmehr mit Unbill rechnen, wenn man sich hierzulande für Israel auf die Straße begibt.
Am 28. Januar kommt es nun – selten genug – zu einer größeren Demonstration für Israel, nämlich in Berlin. Das Datum liegt dabei nicht zufällig in zeitlicher Nähe zum Gedenktag für die Opfer der Shoa: »Ich will den atomaren Holocaust«, lautet die Schlagzeile des Plakates [3], mit dem für die Protestaktion geworben wird. Darunter sieht man einen fanatisch dreinblickenden und entschlossen die Faust ballenden Mahmud Ahmadinedjad und noch weiter unten das bekannte Foto von der Eisenbahnzufahrt zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Unter der Fotomontage steht die Forderung: »Demonstriert gegen den gefährlichsten Politiker unserer Zeit«; es folgen Ort und Zeit. Der Aufruf zur Demonstration ist extrem knapp gehalten und nicht weniger plakativ als der Aushang; er besteht nur aus fünf Sätzen: [4]
Irans Präsident Ahmadinedjad plant den Massenmord
Die „Holocaust-Konferenz“ in Teheran ist Teil seiner Vorbereitung
Die Entwicklung von Atombomben und Raketen bedroht auch Europa
Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend
Demokraten dürfen nicht schweigen
Auf nähere Ausführungen haben die Initiatoren und Organisatoren also genauso verzichtet wie auf eine dezidierte Kritik derjenigen, die die Mullahs mal gewähren lassen, mal tatkräftig unterstützen und jedenfalls nichts unternehmen, um der drohenden Vernichtung des jüdischen Staates entgegenzutreten. Nichtsdestotrotz müssten die Initiative von I like Israel (ILI) und Honestly Concerned (HC) begrüßt und deren Auslassungen eigenständig gefüllt werden – doch von vielen, die schon vorab um Unterstützung gebeten wurden, kam längst nicht nur Zustimmung. Der Zentralrat der Juden in Deutschland beispielsweise lehnte es ab, mit zu der Demonstration aufzurufen und Unterstützung zu leisten: Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, in einem Schreiben an die Organisatoren schlicht als »idiotisch« und die Demonstration als »lächerlich«. Der Sekretär machte gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: »Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten. […] Es gibt bestimmte politische Spielregeln.« Im Schreiben Stephan J. Kramers hieß es ferner: »Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.« Und damit hat er in Bezug auf die geplante ›Massendemonstration‹ aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Manifestationen wider den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen. [5]
Entsprechend deutlich wurde der ILI-Vorsitzende Leo Sucharewicz in einem offenen Brief an Kramer. Er verwies auf die Legitimität des Vergleichs zwischen Ahmadinedjad und Hitler, stellte klar, es gehe »nicht um eine Demonstration gegen den Iran, sondern gegen die Holocaust-Leugnung von Ahmadinedjad und seine wiederholten Ankündigungen, Juden in Israel und außerhalb massenhaft umzubringen«, und forderte indirekt den Rücktritt des Generalsekretärs: »Wenn Ihnen diese politischen ›Basics‹ fehlen, sind Sie in einer Zeit wachsender Bedrohungen der falsche Mann an einer wichtigen Stelle. Diese Stelle verlangt heute als conditio sine qua non Entschlossenheit, analytische Fähigkeiten, Klugheit und soziale Kompetenz, um die begrenzten pro-jüdischen und pro-israelischen Kräfte zu mobilisieren.«
Doch der Zentralrat blieb bei seiner Ablehnung; seine Vorsitzende Charlotte Knobloch sagte in einem Interview mit der Jüdische Allgemeinen [6], man arbeite »seit Monaten daran, Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften zusammenzubringen« und »ein deutliches Signal für die Existenz Israels, gegen die Holocaustleugnung des iranischen Präsidenten und gegen einen Iran auf dem Weg der nuklearen Rüstung« zu setzen. Nur mit einer »breiten gesellschaftlichen Koalition« könne man »nachhaltig Aufmerksamkeit erreichen«. Dem Aufruf für den 28. Januar fehle »diese notwendige Basis«. Warum hierzulande einem jeden Aufruf für die unbedingte Unterstützung Israels und die entschiedene Abwehr seiner Vernichtung die notwendige Basis fehlt, reflektiert Knobloch nicht. Derweil tut das Berliner Büro des American Jewish Comittee (AJC), was es immer tut, wenn es etwas zu tun gäbe: Es tut nichts.
Doch es ist auch nicht die alleinige Aufgabe jüdischer Organisationen, sich aktiv für Israel zu engagieren. Deshalb haben sich ILI und HC um die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) als Mitveranstalter und Partner bemüht. Die stieg jedoch nach anfänglichem Interesse rasch wieder aus: Im Vorfeld habe es zu wenige inhaltliche Diskussionen gegeben; außerdem sei der Stil des Aufrufs zu aggressiv. Überdies halte man ein inhaltliches Konzept, das auch Kirchen, Gewerkschaften und Parteien die Teilnahme ermögliche, für hilfreicher. Und schließlich stelle der Vergleich Ahmadinedjads mit Hitler die Singularität von Auschwitz in Frage [7]. Letzteres ist nicht einmal falsch – aber wohlfeil: Es ist der iranische Präsident, der an dieser Singularität liebend gerne etwas ändern würde, abgesehen davon, dass er die Existenz nationalsozialistischer Vernichtungslager bekanntlich gar nicht erst als historische Tatsache anerkennt. Dies steht im Zentrum des Anliegens, das die Initiatoren des Berliner Protestmarsches haben. Und selbst wenn man die martialische und an Anti-AKW-Manifestationen erinnernde Ästhetik ihres Plakates für die Demonstration als problematisch kritisiert und sich fragt, welche anderen Diktatoren außer Adolf Hitler eigentlich die Vernichtung der Juden erstrebt haben sollen, wenn es im Aufruf heißt: »Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend«, handelt es sich bei der eindringlichen Warnung vor den eliminatorischen Plänen der Mullahs nicht um eine Form von Katastrophismus, sondern um eine realistische Einschätzung.
Wenn sich also der Zentralrat und die DIG dieser Erkenntnis verweigern, mag man lieber gar nicht wissen, wie denn deren Aufruf aussähe, wenn dabei noch Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften eingebunden werden sollen – die Mitte der Gesellschaft also, die man von allzu einschneidenden Wahrheiten verschonen will. Herauskommen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zahnloser Appell, der niemandem weh tut, eine allzu deutliche Positionierung auf der Seite Israels vermeidet und also eine Kritik des antizionistischen Mainstreams unterlässt.
Man kann allerdings auch den Organisatoren der Berliner Demonstration den Vorwurf nicht ersparen, ihre Botschaft so formuliert zu haben, dass sie nicht allzu sehr schmerzt. Dass es sich um eine dezidiert proisraelische Kundgebung handelt, ergibt sich zwar aus der Kombination aus Plakat und Aufruf; warum das Wort Israel aber kein einziges Mal explizit vorkommt, bleibt fragwürdig. Und dass »die Entwicklung von Atombomben und Raketen auch Europa« bedroht, mag in letzter Konsequenz stimmen; gleichwohl ist zum einen der jüdische Staat die Hauptzielscheibe des iranischen Vernichtungsprogramms – was bereits Grund genug sein sollte, sich auch auf der Straße zu zeigen –, und zum anderen werden die Nuklearpläne der Mullahs bekanntlich gerade von den angeblich ebenfalls bedrohten Europäern unterstützt, nicht wider besseres Wissen, sondern sehenden Auges. Welche Demokraten also »nicht schweigen« sollen, wie der Aufruf fordert, bleibt folgerichtig eine nicht näher bestimmte Floskel.
Dennoch: Knapp 90 Gruppen und Organisationen stehen heute auf der Unterstützerliste der Demonstration, darunter zahlreiche jüdische Gemeinden. Viele haben ihren Support just in dem Moment zugesagt, als der Zentralrat den seinen verweigerte und kurz darauf auch die DIG absprang, wie ILI berichtet. Mögen ILI und HC auch das vollmundig angestrebte Ziel einer ›Großdemonstration‹ verfehlen – was, um es noch einmal zu unterstreichen, eine Menge über den Mainstream der Mitte aussagt –, so setzen sie bei aller Kritik ein Zeichen für Israel, das alles andere als alltäglich ist. Und es würde gewiss niemandem verwehrt, mit eigenen Flugblättern oder Transparenten aufzulaufen, deren Botschaften deutlicher, präziser und ausführlicher sind als die der Organisatoren.
Doch zum Zentralrat, zum AJC und zur DIG gesellten sich nun noch weitere Kritiker, die mit der Demonstration rein gar nichts zu tun haben wollen und sich sogar explizit gegen sie aussprechen, obwohl man ihnen bisher nicht vorwerfen konnte, eine unmissverständliche Positionierung auf der Seite des jüdischen Staates zu unterlassen: Als der Antisemitismus der deutschen Linken sich immer weniger als Antizionismus zu tarnen vermochte, als offenbar wurde, dass sich mit der ›globalisierungskritischen‹ Bewegung ein reaktionäres Bündnis gegen Amerika und Israel etablierte, als mit dem linksradikalen Jubel über Nine-Eleven und der antiimperialistischen Kollaboration mit den islamistischen Rackets diese Linke sich bis zur Kenntlichkeit entstelle, da gab es einige Ehemalige, die den revolutionären Ex-Genossen den größtmöglichen Affront präsentierten und sie als das bezeichneten, was sie schon immer waren und heute noch sind: ein reaktionäres, linksfaschistisches Pack. Aus dieser Auseinandersetzung entstanden die Antideutschen; ihr oft verdienstvolles Zentralorgan war über Jahre die Vierteljahreszeitschrift Bahamas. Mit der Ablösung von der ordinären Linken war eine kompromisslose Parteinahme für Israel und gegen die Kontinuitäten des deutschen Antisemitismus verbunden; die Vokabel antideutsch wurde in diesem Sinne als äußerste Provokation gegen rechte Nationalisten wie linke Antiimperialisten verwendet.
Doch ausgerechnet jetzt, da es in Berlin eine Demonstration gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs gibt, die zumindest so deutlich und entschieden ist, dass es von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bis zum Zentralrat der Juden in Deutschland keine Unterstützung gibt – weshalb vor allem kleinere jüdische Gruppen auf sich allein gestellt die Organisierung vorantreiben –, schießen die Redakteure der Bahamas gegen ein solches Unterfangen [8]. Nicht allein, dass sie sich nicht an diesem beteiligen wollen, was einigermaßen zu verschmerzen wäre; nein: sie denunzieren darüber hinaus die Veranstalter in einer geifernden Rhetorik, die nicht mehr als Kritik zu verharmlosen ist: »Wir bestreiten den Aufrufern, es ernst zu meinen«, so leiten die Insulaner ein, und sprechen, was wohl witzig daherkommen soll, von der Demonstration als einer »Lockerungsübung wider den tierischen Ernst«; die Organisatoren müssten, was gar nicht mehr komisch ist, »ihre eigene Schande« vorgeführt bekommen.
Dabei entzündet sich die vorgebliche Kritik der Bahamas ausgerechnet an der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Ihre ›Kritik‹ offenbart sich aber als blanke Rage, da nämlich die DIG bekanntlich gar nicht mehr zu der Demonstration aufruft. Von dieser Tatsache überhaupt nicht angekränkelt, wütet die Bahamas gegen die Demonstration als DIG-Veranstaltung und muss sich bei derlei Realitätsverweigerung fragen lassen, was tatsächlich hinter dieser Rage steckt. Klar wird dies, wenn man folgenden Ausfall genauer analysiert: Den zu der Demonstration aufrufenden jüdischen Gemeinden und Gruppen wird ausdrücklich vorgehalten, sie beteiligten sich »wohl in der Hoffnung, ihrerseits ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben«. Es ist die Ebene der Verdachts, die hier ins Spiel kommt, denn Belege für die Spekulation, den Teilnehmern gehe es bloß um eine familiäre Karnevalsparty und nicht um eine ernsthafte Manifestation gegen Judenhass, fehlen gänzlich. Und mehr noch: Es ist eine klassische antisemitische Projektion zu behaupten, der Jude sei individualistisch statt kollektivistisch, setze auf sich allein und nicht auf die Gemeinschaft. Wenn Juden aber nun vorgehalten wird, sie würden ein »Gemeinschaftsgefühl« erhoffen, so wird ihnen explizit zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht der wahnhaften Projektion des gemeinen Antisemiten Folge leisten wollten. Damit denunziert sich die Rage der Bahamas im Kern selbst als antisemitisch. Man kann der Redaktion eines nämlich nicht vorwerfen: einen ungenauen und unüberlegten Umgang mit der Sprache, mithin eine unzureichende Kenntnis der kritischen Theorie des Antisemitismus.
In diesem Kontext nimmt es auch nicht Wunder, dass die Bahamas sich über einen, wie sie es nennt, »repräsentativen Ausschnitt des organisierten Judentums in Deutschland« beklagt, weil dieser die Demonstration zu unterstützen gedenkt. Dabei ist das Gerede vom »organisierten Judentum« längst zum Code rechts- wie linksradikaler Antisemiten geworden; deutsche Neonazis benutzen ihn genauso wie etwa Norman Finkelstein und Israel Shamir. Dahinter steht im antisemitischen Milieu die Behauptung einer organisierten Bedrohung, die in der Stürmer-Parole »Judentum ist organisiertes Verbrechen« kulminiert. Auch dies wird in der Bahamas nicht unbekannt sein, hier sind die Redakteure in der Formulierung ihrer ›Kritik‹ regelrecht entgleist.
Und so sind die Initiatoren der Demonstration, jüdische zumeist, gleich Pazifisten, Appeaser und nur noch ›Kritiker‹ des Antisemitismus in Anführungszeichen. Dies wirkt deshalb auch besonders schräg, da derlei Zuschreibungen von der Bahamas sonst jenen Politikern gelten, die »wie Frank Walter Steinmeier, Kofi Annan, Wladimir Putin, Jacques Chirac, Javier Solana und all die anderen Demokraten« gar als »die gefährlichsten Politiker unser Zeit« gehandelt werden. Die berechtigte Kritik an Appeasement und Kollaboration mit den Mullahs – von EU bis Uno – kippt völlig ins Absurde, wenn einerseits den derart kritisierten Politikern beinahe unterschiedslos das »organisierte Judentum« zugeschlagen wird und andererseits Ahmadinedjad ausdrücklich nicht mehr als einer der »gefährlichsten Politiker unser Zeit« dargestellt wird.
Zudem ist sowohl diese Sichtweise als auch der daraus resultierende Boykott der Berliner Demonstration einigermaßen erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Bahamas eine realpolitische Betätigung ansonsten nicht eben fremd ist: Im letzten Sommer beispielsweise rief die Redaktion der Zeitschrift erst zu drei Demonstrationen gegen einen möglichen Besuch Mahmud Ahmadinedjads bei der Fußball-Weltmeisterschaft auf [9] – übrigens gemeinsam mit Honestly Concerned und ILI, denen man jetzt »ihre eigene Schande« vorführen möchte – und begrüßte dabei auch die Teilnahme des bayerischen Innenministers Günter Beckstein bei der Kundgebung in Nürnberg. Anschließend organisierte sie eine Demonstration für Israel in Berlin [10], bei der neben anderen der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, sprach. Und selbst im Kiez scheut man die Realpolitik nicht und empfahl deshalb vor wenigen Tagen den »Wählerinnen und Wähler in Friedrichshain-Kreuzberg«, den Antrag der CDU gegen die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu unterstützen [11]. Denn »auch wenn wir wissen, dass die CDU ganz bestimmt nicht aus den von uns dargelegten Gründen die Initiative gegen die Umbenennung der Kochstraße ergriffen hat«, so lasse sich »nicht bestreiten, dass die Christdemokraten – wenn auch aus vornehmlich falschen Gründen – das Richtige tun«. So viel Gnade vor den Augen der Insulaner finden die Organisatoren der Demonstration am Sonntag nicht. Das nennt man dann wohl Doppelmoral.
Die Redaktion der Bahamas, in Dialektik geschult, kritisierte oft zu Recht die ungenügende Deutlichkeit und Entschiedenheit von derlei Parteinahmen und Kooperationen und beteiligte sich dennoch an ihnen. Denn Kritik und Parteilichkeit wurden bisher stets zusammengedacht. Vieles wäre im Rahmen der Demonstration am 28. Januar zu Recht zu kritisieren, aber die Form und auch die Konsequenz einer solchen Kritik sind entscheidend. Die Rage der Bahamas-Redaktion gegen den Veranstalter der Demonstration ist diesbezüglich aus vernünftigen Gründen nicht mehr zu rechtfertigen; vielmehr denunziert sich eine solche ›Kritik‹, gekennzeichnet von Realitätsverlust, äußerst waghalsiger Polemik und dem Verzicht auf jedes begründete Argument, von selbst. Die Bahamas ist, so scheint es, enttäuscht vom Ersatzobjekt ihrer Zuneigung, da es nicht den von ihr vorgegebenen Maßstäben genügt. So wie einst dem real existierenden Proletariat, so wird nun nach und nach dem real existierenden Judentum die Freundschaft aufgekündigt. Die Regression zur alten Linken hat wohl längst schon begonnen.
Dementsprechend wird die Demonstration verhöhnt als eine »Sternstunde des deutschen Vereinswesens«, die teilnehmenden, fast ausnahmslos jüdischen Organisatoren werden angepöbelt als »Vorstände, Vorsitzende und Präsidenten deutscher Vereine, die scharf darüber wachen, dass die Mitglieder nicht auf eigene Gedanken kommen, die aus Solidarität Parteidisziplin und aus Kritik parteischädigendes Verhalten machen und statt Politik für Israel zu betreiben einen Pakt mit dem Common Sense zu schmieden suchen«. Die eigentlichen deutschen Vereine aber fehlen. Unter ihnen ist auch jene Kreuzberger Zeitschriftenredaktion, die für den Vortag eine »Veranstaltung zur Rettung der Israelsolidarität« [12] organisiert. Der historische Ort, an dem verhindert werden soll, »realpolitisch Israels Todfeinden in die Hände zu arbeiten«, ist das Hinterzimmer einer schmierigen Kreuzberger Kneipe. So reproduziert sich im linksradikalen Berliner Kiez der Wahnsinn des falschen Ganzen.
Die Ablehnung einer Demonstration für Israel und gegen den eliminatorischen Antisemitismus eint nicht nur ordinäre Antisemiten und ›ehrbare‹ Antizionisten, sondern de facto auch die DIG, den Zentralrat, das AJC und einige Größen einer kleinen linken Zeitschrift. Und jeder hat seine je eigenen falschen Gründe. So wird die geplante »Massendemonstration« höchst bescheiden enden; und viele haben daran ihren Anteil, ja, ihren Gefallen.
[1] http://lizaswelt.blogspot.com/
[2] http://calvelli.blogspot.com/2007/01/die-simulation-des-appeasements.html
[3] http://www.il-israel.org/post.jpg
[4] http://www.il-israel.org/demo.html
[5] http://calvelli.blogspot.com/2007/01/der-generalsekretr.html
[6] Jüdische Allgemeine vom 11. Januar 2007 (nur Printausgabe)
[7] Ebenda
[8] http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/Nicht-Aufruf27-1-07.htm
[9] http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/WM-Iran-Protest.htm
[10] http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/Fuer-Israel-28-7-06-Berlin.htm
[11] http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/Dutschke-Wahl21-1-07.htm
[12] http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/Programm-27-1-07.htm
Dienstag, 23. Januar 2007
Donnerstag, 18. Januar 2007
Die Simulation des Appeasements
Wird dem Islamismus und damit dem eliminatorischen Antizionismus nicht entschiedenen begegnet, so bezeichnen dies Kritiker zumeist als »Appeasement«. Doch scheint dieser Vorwurf nicht immer hinreichend. Appeasement nämlich ist die Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse gegenüber einem Aggressor. Wird der Islamismus aber als Avantgarde gegen die ›wahren Aggressoren‹ USA und Israel interpretiert, so kann von Appeasement keine Rede mehr sein.
Keine Alternative
Dem amerikanischen Historiker und Publizisten Walter Laqueur kann man nicht nachsagen, er würde die Gefahr des Islamismus, dem man in Europa zumeist mit einem politischen, kulturellen und moralischen Relativismus begegnet, unterschätzen. Erst jüngst zeichnete er das Bild eines Europas im Niedergang [1], weil es nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch nicht in der Lage sei, diese Bedrohung zu erkennen und zu bekämpfen. Mit der Manifestation von Parallel- und Gegengesellschaften in Deutschland, mit der Etablierung einer wirkungsvollen Infrastruktur islamistischer Extremisten und Terroristen in Großbritannien und mit der sich in nihilistischen Revolten äußernden Segregation in Frankreich ist offensichtlich eine neue Qualität erreicht. Walter Laqueur fragt sich zu Recht, ob diese Entwicklung Europas überhaupt noch reversibel sei – und gibt sich skeptisch.
Auf die Frage, was Europa jetzt aber noch zu tun bliebe, »nachdem ein starkes, standhaftes Auftreten zur Verhinderung der gegenwärtigen Krise verpasst wurde«, fällt Laqueur, vom Mahner zum Defätisten gewandelt, nur noch der Vorschlag ein, es mit Appeasement zu versuchen. Andere Alternativen wären nicht zu erkennen. Konkret bedeutet dies, »dass man sich mit Kritik an den grundlegenden Überzeugungen und Praktiken der jeweils anderen Seite zurückhalten sollte«. Denn wenn eine Religion 1,2 Milliarden Anhänger hat, so »ist es nicht ratsam, offen über ihre negativen Seiten herzuziehen«. Laqueur sieht erste Schritte in die richtige Richtung: »Ein gewisses Maß an Selbstzensur wird von den westlichen Politikern und Medien ja bereits praktiziert, und das könnte Schule machen«. So sollte es Zugeständnisse in den Lehrplänen staatlicher Schulen geben, denn warum sollten beispielsweise junge Muslime in Italien die Renaissance studieren, also auch Texte von Dante, »der doch so Hässliches über den Propheten Mohammed geschrieben hat«? Schließlich weist Laqueur darauf hin, dass dieses Appeasement, dass zunächst noch eine Zurückhaltung und Verstellung gegenüber dem Feindlichen bedeutet, in der Konsequenz weiter geht: »Das schließt ein, dass man einer Zivilisation und einem Lebensstil gegenüber, die einem persönlich und den Werten nach eigentlich fremd sind, nicht nur Verständnis zeigt, sondern sogar Bewunderung zum Ausdruck bringt.« Laqueur illustriert hier am praktischen Beispiel die Essenz des Appeasements, mithin den schmalen Grat zwischen Beschwichtigung und offener Kumpanei.
Begrifflichkeit
Beim Appeasement geht es, ganz dem französischen Wort apaiser (befrieden) im Kern darum, einen Aggressor zu besänftigen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass ein offener Konflikt, der mit einiger Wahrscheinlichkeit in eine militärische Auseinandersetzung münden würde, nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Preis zu überstehen ist, weswegen deshalb auf eine Besänftigung des mächtigen, zumeist als übermächtig angesehenen Gegners abgezielt wird. Die politischen Mittel dazu sind vielfältig, sie reichen von der Bekundung der eigenen Dialogbereitschaft über zurückhaltende Reaktionen auf Drohgebärden des Feindes bis hin zu substanziellen Zugeständnissen. Diese Zugeständnisse betreffen oft die eigenen Werte, die innenpolitisch ebenso geopfert werden wie die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten. Frieden um eben diesen Preis wird als höheres Gut bewertet.
Churchill versus Chamberlain
Dies drückt beispielsweise Arthur Neville Chamberlain aus, als er Ende September 1938 aus München zurückkommend das dort unterzeichnete Abkommen als »Peace for our time!« feiert. Großbritannien ist nach dem Ersten Weltkrieg kriegsmüde, sieht sich politisch wie militärisch zu schwach, um Deutschlands Anmaßungen Einhalt zu gewähren. Doch der mit den Nationalsozialisten ausgehandelte Frieden hat einen hohen Preis. Der Bruch der Versailler Verträge, der Anschluss Österreichs und schließlich die Annexion tschechoslowakischer Gebiete – all dies wird geduldet in der Hoffnung, dass sich darin die Forderungen der Deutschen erschöpften und man sich selbst nicht mehr länger im Visier des Aggressors befände. Winston Churchill, Chamberlains Konterpart im britischen Parlament, teilt diesen Optimismus nicht – und behält mit seinen Mahnungen Recht. Nur ein halbes Jahr später errichten die Nationalsozialisten das »Protektorat Böhmen und Mähren«; am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg.
Bei aller Differenz zwischen Appeasement und Offensive, zwischen Chamberlain und Churchill, teilen beide unzweifelhaft die Angst vor dem deutschen Streben, ja die ehrliche Ablehnung der deutschen Expansionspolitik. Noch in seiner berühmten Unterhausrede am 5. Oktober 1938, in der das Münchner Abkommen diskutiert wird [2], äußert Churchill seine vehemente Kritik an Chamberlain »keineswegs aus Mangel an persönlicher Wertschätzung«, sondern spricht dem Premier das »tiefste Verständnis für den Druck und die Spannung, unter denen er stand« aus.
Churchill wendet sich nicht einmal grundsätzlich gegen jedes Appeasement. Er lässt es aber nur als taktische Finte gelten, um den Gegner einige Zeit hinzuhalten, wenn diese benötigt wird, um sich selbst hinreichend für die offene Konfrontation zu rüsten. Nie aber dürfte ein solcher taktischer Frieden ungenutzt bleiben, um »Jahre voll wirkungslos guter Absichten« verstreichen zu lassen.
Doch liegt der Fall von München 1938 anders, dem Frieden wird von Chamberlain Glauben geschenkt, die britische Apathie kulminiert. Dagegen hält Churchill, »dass wir eine völlige, durch nichts gemilderte Niederlage erlitten haben«. Der große Rhetoriker gibt sich im Parlament resigniert, da Chamberlains Fraktion einen Frieden mit den Nationalsozialisten feiert: »Schweigend, trauernd, verlassen und gebrochen versinkt die Tschechoslowakei in der Dunkelheit. Sie hat in jeder Weise dafür büßen müssen, dass sie sich den Demokratien des Westens und dem Völkerbund anschloss, dem sie stets treu gedient hat.« Damit macht Churchill klar: Indem man die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten aufgeopfert hat, hat man zugleich seine eigene Position und damit sich selbst verraten. Dieser Selbstverrat, der die militärische Niederlage zu verhindern sucht, ist ein moralischer und politischer Bankrott. Der Selbstverrat bedeutet den Verlust jener menschlichen Würde, ohne die kein wirkliches Leben mehr ist.
Ein Appeasement, das sich ganz auf die Beschwichtigung verlässt, geht davon aus, dass der Aggressor im Kern vernünftig agiert, dass seine Ansprüche in einem gewissen Maße rational begründet und darum auch in Teilen verhandelbar sind. Churchill dagegen erfasst den wahnhaften Impuls der Deutschen und spricht im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung von jener barbarischen Macht, die sich »ihrer Aggressionslust und Eroberungssucht rühmt, Kraft und perverse Lust aus Verfolgungen schöpft und, wie wir gesehen haben, mit unbarmherziger Brutalität sich der Drohung mörderischer Gewalt bedient«. Er erkennt diesen Wahn, dem mit Vernunft nicht beizukommen ist, dem nichts verhandelbar ist. Setzt man diesem Wahn nun Appeasement entgegen, so ist das Scheitern vorhersehbar, weshalb es die schlechteste der Optionen ist.
Am 13. Mai 1940, Deutschland führt Krieg gegen Europa, tritt Churchill nunmehr als Kriegspremier vor das Unterhaus [3]: »Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.« Er kann und will keine Sicherheit geben, doch er weiß, »ohne Sieg gibt es kein Weiterleben«. Keines zumindest, welches dem sich selbst bewussten Begriff von Leben angemessen wäre. Denn es wäre ein Leben nur um den Preis, dass es nicht mehr ein selbstbestimmtes Leben ist, ein Frieden nur um den Preis, dass einem die eigene Würde und der Selbstwert genommen sind.
Mit der Entscheidung gegen das Appeasement wird sich nicht für einen falschen Todesmut ausgesprochen; Krieg und Tod werden schon gar nicht als sinnstiftend oder erlösend verklärt, wie es deutsche Tonsetzer und Dichter, ob Richard Wagner oder Ernst Jünger, den Ihren vorgegeben haben. Vielmehr spricht sich hier eine großartige Lebenssehnsucht aus. Sie ist der größtmögliche Widerspruch zur deutschen Vernichtungs- und Todessehnsucht, die in kaum gewandelter Form heute von den Islamisten propagiert wird, wenn sie gegen den Westen höhnen: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!« [4]
Der ›wahre‹ Aggressor
Aus den Beispielen, historischen (Chamberlain) wie aktuellen (Laqueur), bleibt festzuhalten, was einen genaueren Begriff des Appeasements ausmacht: Einem als Aggressor verstandenen Gegner wird versucht, durch eine Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse einen Frieden abzugewinnen, und sei es durch Aufgabe eigener Werte und durch Aufgabe der Solidarität zu anderen, welche für eben jene Werte stehen. Beim Appeasement wird ferner von der Annahme ausgegangen, der Aggressor würde letztlich rationale und deshalb verhandelbare Ziele verfolgen, denen durch Zugeständnisse entsprochen werden kann.
Und aus eben diesem Begriff begründet sich eine ernste Skepsis, ob die zurückhaltende, ja zunehmend fördernde Haltung gegenüber den Islamisten, die heute allenthalben in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union zu finden ist, von deren Kritikern überhaupt zutreffend als Appeasement bezeichnet werden kann. Dies würde nämlich voraussetzen, dass im Iran tatsächlich ein Aggressor gesehen wird, dem man aus einer Position der vermeintlichen Ohnmacht heraus mit falschen Mitteln beizukommen versucht.
So sprechen die jüngsten Umfragen dagegen. Eine internationale Erhebung des »Pew Research Center« [5] vom Sommer 2006 ermittelt, dass nur etwa ein Drittel der Menschen in Großbritannien, Spanien und Frankreich den Iran überhaupt als Bedrohung des Weltfriedens ansehen, viel gefährlicher wäre das Verhalten der USA (im Irak) und der Israelisch-Palästinensische Konflikt. In Deutschland nehmen immerhin 51% der Menschen den Iran als reale Bedrohung war, aber ebenso viele den Israelisch-Palästinensischen Konflikt. In Russland, China und vielen arabischen Ländern halten drei Viertel der Befragten den Iran nicht für bedrohlich, in Indonesien sind es 93%, in Pakistan gar 96%. Etwa die Hälfte der in Pakistan, Jordanien und Ägypten Befragten sprechen sich sogar ausdrücklich dafür aus, dass der Iran die Bombe baut. Dies korreliert mit der Ablehnung gegenüber den Amerikanern: Die Zahlen in Europa sehen nur unbedeutend besser aus als in vielen muslimischen Ländern, in denen der Antiamerikanismus traditionell zur Staatsraison gehört.
So liegen No-Globals und andere Freunde der internationalen Solidarität mit ganz perfider Freude ganz richtig: »In Europa und in muslimischen Ländern wird die US-Politik im Irak als größere Bedrohung für den Weltfrieden angesehen als das Nuklearprogramm des Iran.« [6]
Es dürfte also in vielen Staaten mehr als fraglich sein, ob der Iran als eine relevante Gefahr gesehen wird. Ist dies nicht der Fall, so hat dies durchaus einsichtige Gründe. Denn die Aggression des Iran richtet sich in allererster Linie gegen Israel und die USA. Damit aber haben die Wenigsten ein ernsthaftes Problem, im Gegenteil. Denn oft genug werden die Amerikaner und Israelis als die ›wahren‹ Aggressoren ausgemacht. Meines Feindes Feind: ein Mullah.
Stellvertreter
Staaten wie Russland und China sehen im Iran einen möglichen Hebel gegen den Erzrivalen, die Vereinigten Staaten. Als ihren Stellvertreter bringen sie Teheran darum in Stellung. Nach dem amerikanischen Desaster im Irak soll Washington sich in einem weiteren Konflikt, dem mit dem Iran, als letzte weltpolitische Ordnungsmacht vollständig desavouieren. Die nächste Wunde, die den USA dabei geschlagen wird, soll Israel heißen.
Sowohl im konventionell-militärischen als auch im atomaren Bereich ist Moskau der wichtigste Partner der Mullahs in Teheran. Mitte Dezember 2006 bekräftigt der Präsident des Unternehmens »Atomstrojexport«, Sergej Schmatko, am Rande eines Besuches im Iran, dass das im Bau befindliche iranische Atomkraftwerk Buschehr wie geplant ab März 2007 mit Nuklearbrennstoff aus Russland versorgt wird. Zeitgleich wird ein Vertrag zwischen Russland und dem Iran über die Lieferungen von 29 Flugabwehr-Raketensystemen umgesetzt. Die USA haben deshalb Sanktionen gegen jene russische Firmen verhängt, die diese Waffensysteme an den Iran liefern, darunter auch gegen den staatlichen russischen Rüstungsexporteur »Rosoboronexport«. Im Resultat der russischen Lieferungen, die neben Flugabwehr-Raketen auch Jagdflugzeuge vom Typ MiG-29 und Kampfbomber vom Typ SU-24 beinhalteten, ist nicht mehr nur die Wirksamkeit von Bombardierungen der iranischen Atomanlagen, sondern auch die Stärke eines möglichen iranischen Gegenschlages unkalkulierbar geworden. Inzwischen ist Russland wieder Weltmarktführer beim Export von Rüstungsgütern in Entwicklungsländer; die Verträge mit Teheran haben diesen Spitzenplatz erst ermöglicht. [7] Damit nicht genug: im Krieg gegen die vom Libanon aus operierende Hisbollah hat Israel modernste, fabrikneue russische Panzerabwehrraketen sichergestellt. Manche waren gar noch mit russischen Begleitpapieren versehen. [8]
Es wäre falsch, diese Partnerschaft Russlands mit den Mullahs und anderen Terrorregimes auf Ökonomisches zu reduzieren. Die Waffenexporte dienen effektiv der Stärkung der militantesten Kräfte gegen die USA und Israel. Und das genau ist ein vorrangiges Ziel der Russen. Vom Kampf gegen den Terrorismus ist in Moskau allenfalls dann die Rede, wenn es sich um separatistische Tendenzen handelt, die an den eigenen Staatsgrenzen zu rütteln drohen. Dabei ist es für Moskau völlig unerheblich, ob es sich um christliche Georgier oder muslimische Tschetschenen handelt.
Russland ist schon lange keine Supermacht mehr und schaut aus diesem Grund mit Missgunst auf die USA. Aus dieser Ranküne heraus hat Russland jedoch immer noch die Potenz, die Außenpolitik der USA zu unterminieren.
Gleichwohl Russland und China die mächtigsten Partner Teherans außerhalb der islamischen Welt sind, so unterstützen auch andere Staaten mit ihren bescheideneren Mitteln die radikale Avantgarde des Antiamerikanismus und eliminatorischen Antizionismus. Dem maroden Castro darin folgend steht sein linkspopulistischer Freund Hugo Chávez Modell für diese Politik: Während eines Besuches in Teheran im Juli 2006 erklärte er im Gespräch mit Al-Djasira: »Israel verübt an den Libanesen dieselben Handlungen, wie sie Hitler an den Juden verübt hat – die Ermordung von Kindern und Hunderten unschuldigen Zivilisten«. Iran und Venezuela seien »Brüder« - Venezuela werde »unter welchen Umständen auch immer« stets an der Seite Teherans stehen. Gemeinsam könne man den Imperialismus der USA besiegen [9]. Bei einem Gegenbesuch von Ahmadinedjad bei Chavéz am 11. Januar 2007 bekräftigen sie nochmals die gemeinsame Haltung zu Fragen des iranischen Atomprogramms und betonen ihre »strategische Allianz« gegen die USA: »Wir fördern die revolutionären Gedanken in der Welt.« [10]
Den Kumpanen der Mullahs kann man viel Arges unterstellen, eines jedoch nicht: Appeasement.
Europa
Die europäische Idee der Nachkriegszeit beruht auf dem Glauben, gegen das amerikanische Modell eine Vision von allgemeiner Gerechtigkeit und internationaler Verrechtlichung, von Kollektiv statt Individuum, von Sozialstaat und Altruismus statt freiem und lebensfeindlichem Markt etablieren zu können. Diese Vision allein würde dann zum entscheidensten Instrument der Weltpolitik werden.
Doch aus dieser Vision wurde vor allem der neuzeitliche Antiamerikanismus geboren, wie ihn Hannah Arendt schon früh als »europäisches Konzept« [11] ausmachte. Spätestens mit der in den 1990er Jahren evident gewordenen Krise Europas hat dieses Konzept, welches sich zu einem welterklärenden System entwickelte [12], seine Funktion darin, das eigene Scheitern – ob auf dem Balkan oder auf den globalisierten Märkten – durch wahnhafte Projektion erträglich zu gestalten.
Lokale Bündnisse
Während sich die europäischen Regierungen verbal noch zumeist an die einstudierten Codes der transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaft halten, entwickeln sich auf lokalpolitischer und außerparlamentarischer Ebene bereits offen agierende Bündnisse mit islamistischen und pro-terroristischen Kräften.
So steht eine der wichtigsten politischen Organisationen der britischen Muslime, der Muslim Council of Britain, nicht nur bekanntermaßen der radikalen Muslimbruderschaft und der Hamas nahe, sondern pflegt auch enge Kontakte zu linksradikalen Parteien und Organisationen auf der Insel, u.a. zur trotzkistischen Socialist Workers Party. Mehr noch: Ausgerechnet Londons Bürgermeister Ken Livingston verteidigt die Organisation gegen jegliche Angriffe. Das Bindeglied zwischen dem roten Ken, dem Muslim Council of Britain und den britischen Trotzkisten ist die gemeinsame Ranküne gegen Israel und die USA. Aufgrund analoger politischer Präferenzen ist auch der politische Imam Yussuf al-Qaradawi, der noch während der Kampagne gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen Anfang 2006 zum weltweiten Heiligen Krieg aufrief, gern gesehener Gast beim Londoner Bürgermeister. Qaradawi, so Livingston über den Fernsehprediger von Al-Djasira, sei eine häufig verunglimpfte progressive Stimme der Mäßigung. Wiewohl wegen antisemitischer Entgleisungen per Gerichtsurteil bereits für vier Wochen vom Bürgermeisteramt suspendiert, fährt Livingston in seiner judenfeindlichen und antizionistischen Manier fort. Ariel Sharon ist ihm ein »Kriegsverbrecher«, der für »ethnische Säuberungen« verantwortlich sei, überhaupt sei die israelische Besatzungspolitik mit der Shoa zu vergleichen. Seine Wähler ficht dies wenig an, im Gegenteil. Livingstons Antwort auf die Anschläge von London, eine Mischung aus verstiegenem Multikulturalismus und ideologieübergreifendem Antisemitismus, scheint in Londonistan [13] heute mehrheitsfähig. Das Bündnis aus Linken und Islamisten ist in London inzwischen Stadtpolitik.
Eine ebenso ›progressive‹ Stimme ist der britisch-pakistanische Streetworker Ahmed Shah, der in Berlin vom Senat für sein Theaterstück »Intifada im Klassenzimmer« die notwendige finanzielle und politische Unterstützung erhielt. Patrick Neu stellt zu diesem Theaterstück in der Jüdischen Zeitung fest:
»Wiederholt werden darin Bezüge und Vergleiche zu Nazi-Deutschland und zum Holocaust angestellt, um die Situation von Arabern und Moslems als unter pauschalem Terrorismusverdacht stehenden Opfern im heutigen Deutschland sowie das Handeln Israels gegenüber den Palästinensern und der USA im Irak darzustellen. Bilder aus Vernichtungslagern sowie aus Guantanamo werden auf eine Leinwand hinter der Bühne projiziert und deutliche Analogien zu der Situation von Muslimen und Arabern in Deutschland suggeriert.« [14]
Shah kam als Kader der bereits erwähnten trotzkistischen Socialist Workers Party von Großbritannien nach Berlin und baute seinem Auftrag folgend die heute vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung »Linksruck« in Deutschland auf. In einer Broschüre der Berliner Geheimdienstbehörde [15] wird explizit auf Shah und dessen antisemitische Elaborate in linken Magazinen hingewiesen. Die Anfragen des Berliner FDP-Abgeordneten Alexander Ritzmann vom Frühling und Sommer 2006 unter dem Titel: »Fördert der Senat antisemitische Jugenprojekte?« wurde von Staatssekretärin Petra Leuschner (PDS) zurückgewiesen; Shah erfuhr unbeschränkte Rückendeckung aus der Berliner Senatskanzlei, die staatliche Förderung seines antizionistischen Theaterstücks wurde gegen jede Kritik verteidigt.
Solche lokalen Projekte und Bündnisse, vom Linksradikalen bis zum Islamisten, sind keine Ausnahme mehr; vermeintliche ideologische Widersprüche werden durch das gemeinsame Feindbild nivelliert. Ob London oder Berlin: Antisemitische und antiamerikanische Projekte und Bündnisse werden wenigstens auf kommunaler Ebene staatlich sanktioniert, legitimiert, subventioniert. Kritik daran wird zurückgewiesen und bleibt praktisch folgendlos. Den von Staats wegen Verantwortlichen nun Appeasement vorzuwerfen, ist Untertreibung. Sie beschwichtigen nicht, sie fördern.
Innenpolitik: Grenzen des Appeasements
Jenseits solcher sich entwickelnder Bündnisse wird innenpolitisch noch zumeist klassisches Appeasement versucht. Zu sehr besteht die Befürchtung, dass Aktionen der Islamisten nicht nur in Europa geplant, sondern auch in Europa selbst – siehe London und Madrid – verübt werden, zu wenig wagt man die Konfrontation mit einer zunehmenden und zunehmend militanten Minderheit.
Jedem möglichen Konflikt soll die Begründung genommen werden, in dem man die Assoziation mit Israel und den USA und deren vehementem Engagement für westlich-liberale Standards zu vermeiden trachtet. Um die islamistische Rage gegen den Westen von sich abzulenken, wird das Europäische, zunehmend auch wieder das Nationale betont. Man will in den Augen der radikalsten Feinde des Westens keinesfalls als originär westlich angesehen zu werden. Dies gelingt Deutschland aufgrund seiner antiwestlichen und antiliberalen Geschichte nur all zu gut. Ein linker Vordenker dieser Taktik ist der Sozialdemokrat Egon Bahr, einst engster politischer Weggefährte von Bundeskanzler Willy Brandt. Er widerspricht, vom furchtbaren Vergangenen nicht angekränkelt, ausdrücklich dem Historiker Heinrich August Winkler und dessen These von Deutschlands »langem Weg nach Westen« [16]. Bahr gibt sich in seiner positiv gemeinten Wendung »Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal« [17] selbstbewusst und fordert »deutsche Souveränität«. Politische Entscheidungen dürften nicht mehr länger von den alliierten Siegermächten getroffen werden; es sei Zeit für den Schlussstrich: »Die europäische Zukunft ist wichtiger als die deutsche Vergangenheit.« In der fortwährenden Betonung der »Emanzipation« gegenüber dem »sich hegemonial gebenden Amerika« spricht Bahr sich für ein »zivilisiertes Gegenmodell« zu den USA aus. Die rot-grüne Bundesregierung folgte der von Bahr formulierten Linie; Bundeskanzler Schröder übernahm prompt die Vokabel vom »deutschen Weg«, changierend zwischen außenpolitischem Antiamerikanismus und innenpolitischem laisser-faire gegen Islamisten, als Toleranz und Multikultur verbrämt. Damit ist ein erstes Zeichen des klassischen Appeasements gesetzt und geht doch schon darüber hinaus: Verschont uns, wir sind nicht gegen, wir sind mit euch; eure Ranküne gegen Amerika ist die unsere.
Ein zweites Zeichen ist die Bemühung, jede all zu offensive Kritik am Islamismus zu unterdrücken, jede mögliche »Beleidigung« zu unterbinden. Die in vorauseilendem Gehorsam vor dem religiösen Mob exekutierte einstweilige Absetzung von Mozarts »Idomeneo« an der Deutschen Oper in Berlin im Herbst 2006 ist nur ein Beispiel dafür, und nicht einmal das gravierendste. Denn abseits des Kulturbetriebes und abseits größerer öffentlicher Wahrnehmung entwickelt sich der deutsche Staat schon zum unmittelbaren Schutzpatron der Islamisten. Vor Einführung der Scharia genügt vorerst noch das deutsche Gesetz.
Im Januar 2007 wird der 28-jährige David Goldner, Politikwissenschaftler und erklärter Nazigegner, in Bayern wegen § 86a Strafgesetzbuch verurteilt. Der Straftatbestand: »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Er hatte auf einem Werbeflugblatt für eine Veranstaltung zum Band »Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus« [18] das Titelbild des Buches verwendet: mit Hitlergruß salutierende arabische Islamisten. [19] Wenn Islamisten und andere Judenfeinde so unvorteilhaft wie wahrheitsgetreu per Bild in den richtigen politischen Kontext gestellt werden, muss ausgerechnet ihr Kritiker mit staatlicher Verfolgung rechnen. Nicht der »Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten, der auf Juden und Jüdinnen zielt« (so ein Zitat aus dem Flugblatt) wird von deutschen Gerichten unter Strafe gestellt, sondern dessen Abwehr. Damit wird den Islamisten signalisiert, sie könnten sich hierzulande auf ein ruhiges Hinterland verlassen.
Ein anderer Paragraf, der § 166 Strafgesetzbuch, will die »Störung des öffentlichen Friedens« aufgrund der »Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen« verhindern und kommt gegen Kritiker des Islam im letzten Jahr gleich mehrfach zur Anwendung:
Eine Website mit einer Mohammed-Karikatur wird ohne Gerichtsverfahren abgeschaltet, die Betreiber vom Staatsschutz bedroht, ein Gerichtsverfahren läuft [20] . Gegen das Verfahren wendet sich eine Petition, in der festgestellt wird: »...es muss erlaubt sein, religiöse, politische oder öffentliche Autoritäten zu beleidigen, zumal wenn sie seit 1400 Jahren tot sind. Denn wer diese antiautoritäre Freiheit beschneiden will, dringt auf blinden Respekt der Herrschaft – ob diese sich nun islamisch, faschistisch, sozialistisch oder demokratisch nennt.« [21] Doch diese Petition findet wenig Unterstützung. Der bayrische Ministerpräsident fordert gar eine weitere Verschärfung des § 166 und negiert die deutsche Dialektik: Denn der § 166 stellt ja noch nicht per se Religionskritik unter Strafe – so kann das Erbe der Aufklärung weiter behauptet werden – sondern nur jene Kritik, die den »öffentlichen Frieden« zu gefährden droht. Und was diesen »öffentlichen Frieden« nun gefährdet, was also Gotteslästerung ist, so schreibt Felix Mauser über die »Gemeinschaft der Beleidigten«, bestimmt der Mob. [22]
Auch eine als Politsatire platzierte Toilettenpapierrolle mit dem Aufdruck »Koran« führt zum Verfahren, nachdem die iranische Botschaft in Berlin sich beim deutschen Außenministerium beleidigt zeigt. Der Richter weiß: »Aus so etwas kann ein Orkan werden mit unabsehbaren Folgen.« Nach dem Verfahren stellt er zufrieden fest, dass ein »deutliches Zeichen nach außen gesetzt worden« sei«: Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zusätzlich Ableistung von 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit. [23]
Ein solches »deutliches Zeichen« geht an Islamisten und Islamkritiker gleichermaßen: den Islamisten das Appeasement, das begrifflich seine Grenzen schon deutlich überschreitet, den Kritikern die Härte eines Gesetzes, dass zunehmend Scharia-kompatibel erscheint. So versucht man die Djihadisten zu erweichen, nicht hierzulande zu bomben.
Irans »Sicherheitsinteressen«
Mag man der Innenpolitik das Label Appeasement noch nicht versagen, in der Außenpolitik geht der Begriff aber vollends fehl. Wiewohl man sich außenpolitisch noch an die transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaften formal gebunden zeigt, sieht die politische Realität hier de facto längst schon anders aus.
Human Rights Watch erklärt in einer Presseerklärung im Januar 2007, man erhoffe ausgerechnet von Deutschland, es würde »während der EU-Präsidentschaft die Mitgliedsstaaten der Union dazu drängen, eine globale Führungsrolle in Menschenrechtsfragen zu übernehmen«, um eine »entschlossene und prinzipientreue Politik der EU« herbeizuführen [24]. Was genau damit gemeint sein könnte, wird am konkreten Anlass der Presseerklärung deutlich: Human Rights Watch begeht den »Jahrestag von Guantanamo«. Kenneth Roth, Direktor der Organisation, lobt die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel an Guantanamo und fühlt seine Position durch sie bestätigt: »Da die USA keine glaubwürdige Führungsrolle in Sachen Menschenrechte übernehmen können, sollte Deutschland seine europäischen Partner davon überzeugen, diese Rolle auszufüllen.« Qualifiziert wäre Deutschland, so Human Rights Watch, insbesondere wegen seiner Erfahrungen im Iran.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, scheint solche Erfahrungen mit dem Iran zu haben, er glaubt nämlich, der Iran habe »berechtigte Sicherheitsinteressen in der Region, die nur mit Hilfe der Vereinigten Staaten wirksam angesprochen werden können« [25]. Nicht ist die Rede von der Gefährdung der Sicherheit in der Region durch den Iran, beispielsweise durch die Finanzierung der Hisbollah und der Hamas in ihren Angriffen auf Israel. Im Gegenteil: der als Transatlantiker geltende Außenpolitiker forciert die inzwischen in der Endlosschleife des europäischen Diskurses gelandete Rede von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« des Iran gegenüber den USA. Damit übernimmt er die Position aller Antiamerikaner, der ›wahre Aggressor‹ säße in Washington, nicht in Teheran.
Denn die Vokabel von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« impliziert nichts weniger als die Annahme, die Vereinigten Staaten könnten unbegründet und ungerechtfertigt gegen das Mullah-Regime militärisch vorgehen. Die Forderung nach Sicherheitsgarantieren, zu denen ausgerechnet direkte Gespräche zwischen Washington und Teheran beitragen sollen, bedeutet, dass unter keinen Umständen eine Koalition der Willigen die Mullahs militärisch daran hindern soll, die Bombe zu bauen. Die Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« unter gleichzeitigem Verschweigen der Bedrohung durch den Iran – also insbesondere das absichtsvolle Ausblenden israelischer Sicherheitsinteressen – gibt den Mullahs in der letzten Konsequenz sogar darin Recht, wenn sie eine amerikanisch-israelische Gefahr behaupten und sich davor – gegebenenfalls mit Atomraketen – nur zu schützen vorgeben.
Nachdem Polenz mit der Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« die Anmaßungen der Mullahs unterstützt, versucht er im Gegenzug denen die Legitimation zu nehmen, die auf ein härteres Vorgehen gegen den Iran drängen. Denn er behauptet gegen jede Realität, es wäre »die gesamte Staatengemeinschaft, die verhindern will, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt« und gibt somit implizit Entwarnung. Eine ganze Welt gegen das iranische Atomwaffenprogramm – worum sorgen sich dann Amerika und Israel? Bei so viel Einigkeit erscheinen amerikanisch-israelische Alleingänge gänzlich unnötig, ja kontraproduktiv.
Kein Geringerer als der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, stärkt somit objektiv die Position der Mullahs und schwächt die der Amerikaner und Israelis. Er tut dies stellvertretend für den außenpolitischen Mainstream in Europa.
Was bei Polenz noch diplomatisch und deshalb moderat klingt, drückt Peter Gauweiler, sein konservativer Fraktionskollege und ebenso wie Polenz im Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages tätig, schon deutlicher aus. In einem Interview mit dem Deutschandradio Kultur wirft er mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten der amerikanischen Regierung eine Ausrottungspolitik gegen fremde Kulturen wie dereinst gegen Apachen und Sioux vor und bedauert zutiefst, dass in Washington »diejenigen leider die Oberhand bekommen haben, die in einer falsch verstandenen weltanschaulichen Angeberei jetzt gedacht haben, jetzt sind wir das neue Imperium Romanum« [26]. Wer so sehr gegen das zivilisatorische Engagement der Amerikaner wütet und sich statt dessen auf Seiten der Zivilisationsfeinde engagiert, der ist über klassisches Appeasement schon längst hinaus. Gemeinsam mit den Mullahs, mal diplomatisch codiert, mal offen formuliert, wird Stimmung gegen Amerika und Israel gemacht.
Business Berlin – Teheran
Allenfalls empfiehlt die deutsche Außenpolitik noch »maßvollen Druck« auf den Iran, wie es Polenz formuliert, sowie Anreize »zur wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit«. Selbst wenn die Mullahs dem »maßvollen« Drücken der Europäer nachgeben sollten und auf die Bombe verzichten, so wird als Belohnung von den Europäern darauf abgezielt, dass ein Terrorregime wirtschaftlich und technologisch gestärkt wird. Gegen wen sich das ökonomische und technologische Potenzial der Teheraner aber richtet, hat nicht zuletzt der Krieg der vom Libanon aus operierenden Hisbollah gezeigt. Dergestalt trägt europäische Wirtschafts- und Entwicklungspolitik Früchte.
Dass Teheran heute so solvent und potent dasteht, dazu hat insbesondere die Bundesrepublik erheblich beigetragen. Nicht ohne Genugtuung vermeldet deshalb die Deutsche Botschaft in Teheran:
»Iran ist der wichtigste deutsche Exportmarkt in der gesamten Region Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten. Deutschland ist umgekehrt für Iran ein Hauptlieferland. Deutsche Unternehmen sind in fast allen industriellen Sektoren Irans tätig. Schwerpunkte sind die Petrochemie, Elektrizitätserzeugung und -verteilung, Verkehrstechnik und Automobilindustrie, Schiffbau, Aluminium- und Stahlindustrie sowie der Wasser- und Abwasserbereich. Der Deutsch-Iranische Außenhandel entwickelte sich in den letzten Jahren sehr dynamisch. Der zweistellige Aufwärtstrend der vergangenen Jahre hielt auch im vergangenen Jahr an; 2005 lieferte Deutschland 24% mehr Waren nach Iran und der Iran 18% mehr Waren nach Deutschland als im Vergleichszeitraum 2004.« [27]
Dass Kapitalinteressen durchaus hinter Sicherheitsinteressen zurücktreten können, beweisen die Vereinigten Staaten. Jede Firma, ob amerikanische oder europäische, muss mit erheblichen Problemen rechnen, wenn sie sich im Iran engagiert. Erst auf Druck der USA stoppt beispielsweise die Commerzbank Anfang 2007 als letzte westliche Bank die Dollargeschäfte mit dem Iran; man beuge sich, so ein Sprecher der Bank, dem »moralischen Druck« der USA [28]. Statt die Austrocknung der für die Finanzierung des internationalen Terrorismus so wichtigen Dollartransaktionen zu begrüßen – die Petrodollars werden dabei in die Währungen der Technologie- und Waffenlieferanten der Mullahs getauscht – gibt es in Deutschland vehemente Kritik an den USA, die weit über die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates hinausgehen würden. Das Bundesfinanzministerium stellt heraus, sich nicht am Druck auf die Commerzbank beteiligt zu haben: »Das ist nicht unsere Art von Politik.« Derweil betont die Commerzbank, man werde aber auf jeden Fall das Geschäft der Eurotransaktionen mit Teheran fortsetzen.
Es ist interessanterweise eine wirtschaftsliberale Zeitung, die Financial Times Deutschland, die als eine der wenigen deutschen Stimmen das Ausbleiben wirksamer Sanktionen gegen den Iran bedauert und das Vorgehen der USA, den Iran in der Geschäftswelt »zum Paria« zu machen, begrüßt. Denn die Ökonomie sein ein wichtiger Hebel gegen die Mullahs: »Wenn Teheran erkennt, welch hohen Preis sein Konfrontationskurs hat, kann das nur nützen.« [29] Es ist offensichtlich: wirtschaftliche und politische Interessen treffen sich, wenn Berlin mit Teheran Geschäfte macht. Dass die vernünftige Politik der Amerikaner, den Iran ökonomisch wie politisch zu isolieren, auf so viel deutschen Widerstand stößt, kann mit Kapitalinteressen allein nicht erklärt werden, anderenfalls müssten der Financial Times Deutschland und erst recht den oft als »neoliberale Imperialisten« gescholtenen Amerikanern ökonomisches Desinteresse attestiert werden.
Teheran ökonomisch wie politisch zu stärken, ihre ›legitimen‹ Sicherheitsinteressen gegen die USA zu propagieren, entspringt kaum der deutschen und europäischen Angst vor den Mullahs. Vielmehr scheint, das Gegenteil wäre der Fall.
Eliminatorischer Antizionismus
Was den Nationalsozialisten in Europa nicht gänzlich gelang, droht nun mit der iranischen Bombe zu geschehen. Die ›Endlösung der Judenfrage‹ wird als ›Endlösung der Israelfrage‹ versucht. Der israelische Historiker Benny Morris glaubt, der »zweite Holocaust« sei nicht mehr aufzuhalten. Er weiß, wie sehr dann westlicher und nahöstlicher Wahn zusammengefallen sein werden:
»So wie dem ersten wird auch dem zweiten Holocaust ein Jahrzehnt vorangegangen sein, in dem die Herzen und Hirne auf ihn vorbereitet wurden. Verschiedene Botschaften haben verschiedene Publikumskreise erreicht, aber alle haben nur einem Ziel gedient, der Dämonisierung Israels. Muslimen auf der ganzen Welt wurde beigebracht, dass ›Israel vernichtet werden‹ muss. Die Leute im Westen wurden auf subtilere Art belehrt: ›Israel ist ein rassistischer Unterdrückerstaat‹ und ›Israel ist im Zeitalter des Multikulturalismus ein überflüssiger Anachronismus‹. Generationen von Muslimen und zumindest eine Generation von Leuten im Westen wurden nach solchen Glaubenssätzen erzogen.« [30]
Diese »subtilere Art« im Westen hat Gründe. Wegen Auschwitz als unvollendeter deutscher Tat von europäischem Ausmaß war nach der nationalsozialistischen Niederlage eine Fortsetzung des originär gegen die Juden gerichteten Antisemitismus unmöglich geworden. Antisemitismus als fortwesender Wahn musste sich ›ehrenwerte‹ Formen suchen, die Ranküne sollte sich fortan aus ›einsichtigen‹ Gründen speisen, durfte nicht länger offensiv auf die Judenvernichtung abzielen. Der Nationalsozialismus und mit ihm der rassistische Antisemitismus hatten sich zu sehr desavouiert. Die Bemühungen um eine neue Form, um einen ›antifaschistischen‹ Antisemitismus, gipfelten im eliminatorischen Antizionismus. Das postnationale Europa gegen die jüdische Nation, das postfaschistische Deutschland gegen das faschistische Regime in Israel, die linken Kinder der faschistischen Mörder gegen den ›Vernichtungskrieg‹ Israels gegen die Palästinenser – aus dieser Konstellation erwächst ein Hass aus ›reinem‹ Gewissen, denn er richtet mit ›guten‹ Gründen gegen die Juden, die nun die Zionisten heißen.
Den Krieg gegen Israel unvermittelt zu propagieren verbietet sich nicht zuletzt in Deutschland noch aus der all zu eindringlichen Präsens des Vergangenen. Die Erledigung dieser Vergangenheit wird aber längst schon betrieben, ob im Rahmen der Relativierung der deutschen Verbrechen als universal Bösem oder in der Fokussierung auf deutsches Leid und der entsprechenden Zuspitzung im deutschen Opfergefühl, das in der Täter-Opfer-Verdrehung zwar vom ›alliierten Bombenterror‹, nicht mehr aber von der Shoa etwas wissen will. Solange dieses geschichtsrevisionistische Programm von links und rechts nicht gänzlich abgeschlossen ist, sieht sich zumindest der Antizionist des politischen Establishments noch aus Opportunitätserwägungen zur Zurückhaltung genötigt. Er wünscht sich ein Ende der ›Mauer‹, und nimmt Israel die Möglichkeit zur Selbstverteidigung. Er formuliert die Vision eines ›multiethnischen‹ Staates, und spricht Israel seinen jüdischen Charakter ab. Aus dem antisemitischen Traum vom Ende der Juden ist der antizionistische Traum vom Ende Israels geworden.
In solchen deutsch-europäischen Wünschen und Visionen drückt sich in »subtiler Art« eine Politik aus, durch die der Iran und die von ihm finanzierten Terrorbanden freie Hand erhalten, das einst von Deutschland in Europa nicht zu Ende gebrachte Morden im Nahen Osten endgültig zu erledigen.
Wo europäischer und islamistischer Judenhass konvergieren – gleich ob als Antizionismus in Europa nur schlecht getarnt, als Holocaustleugnung und Holocaustrechtfertigung der Teheraner Konferenz hinreichend explizit oder als Aufruf zum Judenmord bei Hamas und Hisbollah ganz offenbar – da ist die Rede von Appeasement wohl gänzlich hinfällig.
Historische Differenzen
Noch einmal der Blick zurück: So sehr Chamberlain die Nationalsozialisten gewähren ließ und zu lange auf Widerstand verzichtete, seine Feinde hat er keinesfalls massiv ökonomisch gestärkt und aktiv politisch unterstützt. Vor der aggressiven deutschen Außenpolitik hat Chamberlain zwar kapituliert und sie geduldet, er tat dies aber nicht mit dem Verweis auf ›legitime‹ Interessen seiner Feinde. Und die Tschechoslowakei wurde mitnichten als gemeinsames Zielobjekt deutscher Aggressionen und britischer Aversionen verstanden; vielmehr glaubte Chamberlain, durch die Duldung der Annexion des Sudetenlandes wäre der hohe Preis dafür bezahlt, den Fortbestand des tschechoslowakischen Staates überhaupt noch zu sichern. Deshalb auch kommt das Münchner Abkommen ganz ohne jede Rechtfertigung der Annexion tschechoslowakischer Gebiete aus; im Zusatz zum Abkommen wird vielmehr die britische Hoffnung betont, durch eine »internationale Garantie der neuen Grenzen des tschechoslowakischen Staates gegen einen unprovozierten Angriff« würde die deutsche Aggression enden [31].
Wenn Chamberlains Politik Appeasement war, so fällt es schwer, die aktuelle deutsche und europäische Politik gegenüber dem Iran auf den gleichen Begriff zu bringen. Historische Vergleiche können dann besonders fruchtbar sein, wenn sie die Differenzen zwischen einst und heute offenbaren.
Kein Appeasement
Die Rede vom Appeasement, so ist zu schlussfolgern, wird mit Blick auf Europa zunehmend problematischer. Beim Appeasement wird von einer realen Bedrohung durch einen Aggressor ausgegangen. Die Umfragen in Europa sowie die Rede von den »legitimen Sicherheitsinteressen« des Iran zeigen aber, dass der Aggressor eher in den USA und in Israel gesehen wird. Diesen liberalen Demokratien wird viel eher als dem islamfaschistischen Iran ein Angriffskrieg zugetraut. Ein Schlag gegen Teherans Atomanlagen als letzte Option vor der iranischen Bombe würde hierzulande keineswegs akzeptiert werden.
Beim Appeasement wird den Forderungen eines Aggressors nachgegeben. Doch braucht der Iran gar keine Forderungen zu erheben. Die Europäer, allen voran die Deutschen, munitionieren den Iran ökonomisch wie technologisch. Nicht, weil es Teheran mit Drohungen verbunden einfordert, sondern weil es Europas und hier besonders Deutschlands eigenen ökonomischen wie politischen Interessen entspricht. Die ökonomischen liegen auf der Hand, die politischen bestehen in der Stärkung eines Regimes, dass die Amerikaner stellvertretend und in einer Weise düpiert, wie es selbst (noch) nicht gewagt wird. Das Auftrumpfen des Iran gegen den Westen, mithin die Farce im Weltsicherheitsrat, wird in Europa mitnichten als Versagen der europäischen Außenpolitik gewertet, vielmehr als Schmach der Amerikaner goutiert.
Beim Appeasement werden im Rahmen des Beschwichtigens und Nachgebens eigene essenzielle Werte aufgegeben, um den Frieden zu sichern. Doch scheint es zweifelhaft, wie essenziell in Europa noch die Werte von Vernunft und Aufklärung sind, werden sie doch immer mehr einem Kultur- und Werterelativismus geopfert, wird die Rede von universalen Menschenrechten nur gegen die USA und Israel geführt, sonst aber das ›Menschenrecht‹ auf autochthone Kultur propagiert, wie vormodern und unmenschlich sie jeweils auch sei.
So ist es oft verfehlt, heute noch von Appeasement zu reden; ja es grenzt in Teilen gar an Verharmlosung.
Man wünschte sich doch vielmehr, die deutsche und europäische Politik wäre tatsächlich noch richtig mit Appeasement beschrieben, dann könnte man – wie es mit einem Walter Laqueur sicher nicht absurd erschiene – ernsthaft über die Frage der richtigen Mittel gegen einen gemeinsam als Aggressor Erkannten streiten; auch darüber, ob die politische Entwicklung nicht doch noch reversibel sei, ob die Angst vor den Mullahs, die Befürchtung, eine unmittelbare Konfrontation nicht mehr gewinnen zu können, wirklich berechtigt ist.
Vielmehr aber scheint es notwendig, die Gemeinsamkeiten und Interpendenzen zwischen einem postmodern regredierten Alteuropa und dem politischen Islam ernster zu nehmen als die ideologischen und politischen Differenzen, die allemal noch existieren mögen.
Der Antiamerikanismus wie der eliminatorische Antizionismus sind in Alteuropa längst schon mehrheitsfähig; sie werden allenfalls aus Opportunitätserwägungen, auch zur Wahrung des eigenen guten Gewissens, noch diplomatisch codiert. Derweil schreiten die Mullahs von Europa ungehindert zur Tat. Die Instrumente der europäischen wie der internationalen Staatengemeinschaft versagen dabei keinesfalls, geht es doch im Kern darum, die Bemühungen der Amerikaner und Israelis im Nahen und Mittleren Osten scheitern zu lassen. In den aus diesem Grunde höchst belanglosen Resolutionen der Vereinten Nationen gegen die Mullahs, wie der im Dezember 2006 bezüglich des iranischen Atomprogramms verabschiedeten, wird die Mähr der internationalen Verrechtlichung als antiimperialistischem und antimilitaristischem Programm perpetuiert; solche Resolutionen dienen, wiewohl sie mit kritischer Pose auftreten, allenfalls der Schwächung einer notwendig entschiedeneren Position gegen die Bombe der Islamisten.
Was gemeinhin als Appeasement kritisiert wird, ist oft nur noch dessen Simulation. Manchmal nicht einmal mehr das.
[1] Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht. Berlin: Propyläen Verlag 2006
[2] Winston S. Churchill: Reden in Zeiten des Krieges. Hamburg, Wien: Europa Verlag 2002
[3] ebenda
[4] Botschaft von Abu Dudschan al-Afghani, Militärsprecher der al-Qaida, 13. März 2003 (zwei Tage nach den Anschlägen von Madrid)
[5] http://pewresearch.org und http://pewglobal.org/reports/display.php?ReportID=252
[6] http://www.epo.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1672&Itemid=84
[7] http://www.aktuell.ru/russland/wirtschaft/russland_weltmarktfuehrer_beim_waffenexport_1480.html
[8] http://www.aktuell.ru/russland/politik/israel_hofft_auf_russischen_kurswechsel_in_nahost_3215.html
[9] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/11/das-antlitz-des-hugo-c.html
[10] http://onnachrichten.t-online.de/c/10/12/80/84/10128084.html
[11] Hannah Arendt: Zur Zeit. Politische Essays. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1999
[12] Thomas Uwer u.a. (Hg.): Amerika. Der »War on Terror« und der Aufstand der Alten Welt. Freiburg: ça-ira Verlag 2003, dort insbesondere das Vorwort
[13] Melanie Phillips: Londonistan. New York: Encounter Books 2006
[14] zitiert nach: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/09/intifada-bhnenreif.html
[15] Berliner Verfassungsschutz: Im Fokus: Antisemitismus. Berlin 2004
[16] Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. München: C. H. Beck Verlag 2000
[17] Egon Bahr: Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal. München: Klaus BlessingVerlag 2003
[18] Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira Verlag 2006
[19] http://lizaswelt.blogspot.com/2007/01/garmischer-tragikomdie.html
[20] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/02/koranrolle-vorwrts.html
[21] http://www.anti166.tk/
[22] http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web50-1.htm
[23] ebenda
[24] http://hrw.org/german/docs/2007/01/11/global15046.htm
[25] http://www.politikerscreen.de/index.php/Main/Artikel/id/124970/
[26] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/579685/
[27] http://www.teheran.diplo.de/Vertretung/teheran/de/05/Wirtschaft.html
[28] http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdienstleister/149140.html
[29] http://www.ftd.de/meinung/kommentare/149316.html
[30] http://www.welt.de/data/2007/01/06/1165992.html?s=2
[31] http://www.glasnost.de/db/DokAus/38muenchen.html
Keine Alternative
Dem amerikanischen Historiker und Publizisten Walter Laqueur kann man nicht nachsagen, er würde die Gefahr des Islamismus, dem man in Europa zumeist mit einem politischen, kulturellen und moralischen Relativismus begegnet, unterschätzen. Erst jüngst zeichnete er das Bild eines Europas im Niedergang [1], weil es nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch nicht in der Lage sei, diese Bedrohung zu erkennen und zu bekämpfen. Mit der Manifestation von Parallel- und Gegengesellschaften in Deutschland, mit der Etablierung einer wirkungsvollen Infrastruktur islamistischer Extremisten und Terroristen in Großbritannien und mit der sich in nihilistischen Revolten äußernden Segregation in Frankreich ist offensichtlich eine neue Qualität erreicht. Walter Laqueur fragt sich zu Recht, ob diese Entwicklung Europas überhaupt noch reversibel sei – und gibt sich skeptisch.
Auf die Frage, was Europa jetzt aber noch zu tun bliebe, »nachdem ein starkes, standhaftes Auftreten zur Verhinderung der gegenwärtigen Krise verpasst wurde«, fällt Laqueur, vom Mahner zum Defätisten gewandelt, nur noch der Vorschlag ein, es mit Appeasement zu versuchen. Andere Alternativen wären nicht zu erkennen. Konkret bedeutet dies, »dass man sich mit Kritik an den grundlegenden Überzeugungen und Praktiken der jeweils anderen Seite zurückhalten sollte«. Denn wenn eine Religion 1,2 Milliarden Anhänger hat, so »ist es nicht ratsam, offen über ihre negativen Seiten herzuziehen«. Laqueur sieht erste Schritte in die richtige Richtung: »Ein gewisses Maß an Selbstzensur wird von den westlichen Politikern und Medien ja bereits praktiziert, und das könnte Schule machen«. So sollte es Zugeständnisse in den Lehrplänen staatlicher Schulen geben, denn warum sollten beispielsweise junge Muslime in Italien die Renaissance studieren, also auch Texte von Dante, »der doch so Hässliches über den Propheten Mohammed geschrieben hat«? Schließlich weist Laqueur darauf hin, dass dieses Appeasement, dass zunächst noch eine Zurückhaltung und Verstellung gegenüber dem Feindlichen bedeutet, in der Konsequenz weiter geht: »Das schließt ein, dass man einer Zivilisation und einem Lebensstil gegenüber, die einem persönlich und den Werten nach eigentlich fremd sind, nicht nur Verständnis zeigt, sondern sogar Bewunderung zum Ausdruck bringt.« Laqueur illustriert hier am praktischen Beispiel die Essenz des Appeasements, mithin den schmalen Grat zwischen Beschwichtigung und offener Kumpanei.
Begrifflichkeit
Beim Appeasement geht es, ganz dem französischen Wort apaiser (befrieden) im Kern darum, einen Aggressor zu besänftigen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass ein offener Konflikt, der mit einiger Wahrscheinlichkeit in eine militärische Auseinandersetzung münden würde, nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Preis zu überstehen ist, weswegen deshalb auf eine Besänftigung des mächtigen, zumeist als übermächtig angesehenen Gegners abgezielt wird. Die politischen Mittel dazu sind vielfältig, sie reichen von der Bekundung der eigenen Dialogbereitschaft über zurückhaltende Reaktionen auf Drohgebärden des Feindes bis hin zu substanziellen Zugeständnissen. Diese Zugeständnisse betreffen oft die eigenen Werte, die innenpolitisch ebenso geopfert werden wie die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten. Frieden um eben diesen Preis wird als höheres Gut bewertet.
Churchill versus Chamberlain
Dies drückt beispielsweise Arthur Neville Chamberlain aus, als er Ende September 1938 aus München zurückkommend das dort unterzeichnete Abkommen als »Peace for our time!« feiert. Großbritannien ist nach dem Ersten Weltkrieg kriegsmüde, sieht sich politisch wie militärisch zu schwach, um Deutschlands Anmaßungen Einhalt zu gewähren. Doch der mit den Nationalsozialisten ausgehandelte Frieden hat einen hohen Preis. Der Bruch der Versailler Verträge, der Anschluss Österreichs und schließlich die Annexion tschechoslowakischer Gebiete – all dies wird geduldet in der Hoffnung, dass sich darin die Forderungen der Deutschen erschöpften und man sich selbst nicht mehr länger im Visier des Aggressors befände. Winston Churchill, Chamberlains Konterpart im britischen Parlament, teilt diesen Optimismus nicht – und behält mit seinen Mahnungen Recht. Nur ein halbes Jahr später errichten die Nationalsozialisten das »Protektorat Böhmen und Mähren«; am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg.
Bei aller Differenz zwischen Appeasement und Offensive, zwischen Chamberlain und Churchill, teilen beide unzweifelhaft die Angst vor dem deutschen Streben, ja die ehrliche Ablehnung der deutschen Expansionspolitik. Noch in seiner berühmten Unterhausrede am 5. Oktober 1938, in der das Münchner Abkommen diskutiert wird [2], äußert Churchill seine vehemente Kritik an Chamberlain »keineswegs aus Mangel an persönlicher Wertschätzung«, sondern spricht dem Premier das »tiefste Verständnis für den Druck und die Spannung, unter denen er stand« aus.
Churchill wendet sich nicht einmal grundsätzlich gegen jedes Appeasement. Er lässt es aber nur als taktische Finte gelten, um den Gegner einige Zeit hinzuhalten, wenn diese benötigt wird, um sich selbst hinreichend für die offene Konfrontation zu rüsten. Nie aber dürfte ein solcher taktischer Frieden ungenutzt bleiben, um »Jahre voll wirkungslos guter Absichten« verstreichen zu lassen.
Doch liegt der Fall von München 1938 anders, dem Frieden wird von Chamberlain Glauben geschenkt, die britische Apathie kulminiert. Dagegen hält Churchill, »dass wir eine völlige, durch nichts gemilderte Niederlage erlitten haben«. Der große Rhetoriker gibt sich im Parlament resigniert, da Chamberlains Fraktion einen Frieden mit den Nationalsozialisten feiert: »Schweigend, trauernd, verlassen und gebrochen versinkt die Tschechoslowakei in der Dunkelheit. Sie hat in jeder Weise dafür büßen müssen, dass sie sich den Demokratien des Westens und dem Völkerbund anschloss, dem sie stets treu gedient hat.« Damit macht Churchill klar: Indem man die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten aufgeopfert hat, hat man zugleich seine eigene Position und damit sich selbst verraten. Dieser Selbstverrat, der die militärische Niederlage zu verhindern sucht, ist ein moralischer und politischer Bankrott. Der Selbstverrat bedeutet den Verlust jener menschlichen Würde, ohne die kein wirkliches Leben mehr ist.
Ein Appeasement, das sich ganz auf die Beschwichtigung verlässt, geht davon aus, dass der Aggressor im Kern vernünftig agiert, dass seine Ansprüche in einem gewissen Maße rational begründet und darum auch in Teilen verhandelbar sind. Churchill dagegen erfasst den wahnhaften Impuls der Deutschen und spricht im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung von jener barbarischen Macht, die sich »ihrer Aggressionslust und Eroberungssucht rühmt, Kraft und perverse Lust aus Verfolgungen schöpft und, wie wir gesehen haben, mit unbarmherziger Brutalität sich der Drohung mörderischer Gewalt bedient«. Er erkennt diesen Wahn, dem mit Vernunft nicht beizukommen ist, dem nichts verhandelbar ist. Setzt man diesem Wahn nun Appeasement entgegen, so ist das Scheitern vorhersehbar, weshalb es die schlechteste der Optionen ist.
Am 13. Mai 1940, Deutschland führt Krieg gegen Europa, tritt Churchill nunmehr als Kriegspremier vor das Unterhaus [3]: »Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.« Er kann und will keine Sicherheit geben, doch er weiß, »ohne Sieg gibt es kein Weiterleben«. Keines zumindest, welches dem sich selbst bewussten Begriff von Leben angemessen wäre. Denn es wäre ein Leben nur um den Preis, dass es nicht mehr ein selbstbestimmtes Leben ist, ein Frieden nur um den Preis, dass einem die eigene Würde und der Selbstwert genommen sind.
Mit der Entscheidung gegen das Appeasement wird sich nicht für einen falschen Todesmut ausgesprochen; Krieg und Tod werden schon gar nicht als sinnstiftend oder erlösend verklärt, wie es deutsche Tonsetzer und Dichter, ob Richard Wagner oder Ernst Jünger, den Ihren vorgegeben haben. Vielmehr spricht sich hier eine großartige Lebenssehnsucht aus. Sie ist der größtmögliche Widerspruch zur deutschen Vernichtungs- und Todessehnsucht, die in kaum gewandelter Form heute von den Islamisten propagiert wird, wenn sie gegen den Westen höhnen: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!« [4]
Der ›wahre‹ Aggressor
Aus den Beispielen, historischen (Chamberlain) wie aktuellen (Laqueur), bleibt festzuhalten, was einen genaueren Begriff des Appeasements ausmacht: Einem als Aggressor verstandenen Gegner wird versucht, durch eine Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse einen Frieden abzugewinnen, und sei es durch Aufgabe eigener Werte und durch Aufgabe der Solidarität zu anderen, welche für eben jene Werte stehen. Beim Appeasement wird ferner von der Annahme ausgegangen, der Aggressor würde letztlich rationale und deshalb verhandelbare Ziele verfolgen, denen durch Zugeständnisse entsprochen werden kann.
Und aus eben diesem Begriff begründet sich eine ernste Skepsis, ob die zurückhaltende, ja zunehmend fördernde Haltung gegenüber den Islamisten, die heute allenthalben in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union zu finden ist, von deren Kritikern überhaupt zutreffend als Appeasement bezeichnet werden kann. Dies würde nämlich voraussetzen, dass im Iran tatsächlich ein Aggressor gesehen wird, dem man aus einer Position der vermeintlichen Ohnmacht heraus mit falschen Mitteln beizukommen versucht.
So sprechen die jüngsten Umfragen dagegen. Eine internationale Erhebung des »Pew Research Center« [5] vom Sommer 2006 ermittelt, dass nur etwa ein Drittel der Menschen in Großbritannien, Spanien und Frankreich den Iran überhaupt als Bedrohung des Weltfriedens ansehen, viel gefährlicher wäre das Verhalten der USA (im Irak) und der Israelisch-Palästinensische Konflikt. In Deutschland nehmen immerhin 51% der Menschen den Iran als reale Bedrohung war, aber ebenso viele den Israelisch-Palästinensischen Konflikt. In Russland, China und vielen arabischen Ländern halten drei Viertel der Befragten den Iran nicht für bedrohlich, in Indonesien sind es 93%, in Pakistan gar 96%. Etwa die Hälfte der in Pakistan, Jordanien und Ägypten Befragten sprechen sich sogar ausdrücklich dafür aus, dass der Iran die Bombe baut. Dies korreliert mit der Ablehnung gegenüber den Amerikanern: Die Zahlen in Europa sehen nur unbedeutend besser aus als in vielen muslimischen Ländern, in denen der Antiamerikanismus traditionell zur Staatsraison gehört.
So liegen No-Globals und andere Freunde der internationalen Solidarität mit ganz perfider Freude ganz richtig: »In Europa und in muslimischen Ländern wird die US-Politik im Irak als größere Bedrohung für den Weltfrieden angesehen als das Nuklearprogramm des Iran.« [6]
Es dürfte also in vielen Staaten mehr als fraglich sein, ob der Iran als eine relevante Gefahr gesehen wird. Ist dies nicht der Fall, so hat dies durchaus einsichtige Gründe. Denn die Aggression des Iran richtet sich in allererster Linie gegen Israel und die USA. Damit aber haben die Wenigsten ein ernsthaftes Problem, im Gegenteil. Denn oft genug werden die Amerikaner und Israelis als die ›wahren‹ Aggressoren ausgemacht. Meines Feindes Feind: ein Mullah.
Stellvertreter
Staaten wie Russland und China sehen im Iran einen möglichen Hebel gegen den Erzrivalen, die Vereinigten Staaten. Als ihren Stellvertreter bringen sie Teheran darum in Stellung. Nach dem amerikanischen Desaster im Irak soll Washington sich in einem weiteren Konflikt, dem mit dem Iran, als letzte weltpolitische Ordnungsmacht vollständig desavouieren. Die nächste Wunde, die den USA dabei geschlagen wird, soll Israel heißen.
Sowohl im konventionell-militärischen als auch im atomaren Bereich ist Moskau der wichtigste Partner der Mullahs in Teheran. Mitte Dezember 2006 bekräftigt der Präsident des Unternehmens »Atomstrojexport«, Sergej Schmatko, am Rande eines Besuches im Iran, dass das im Bau befindliche iranische Atomkraftwerk Buschehr wie geplant ab März 2007 mit Nuklearbrennstoff aus Russland versorgt wird. Zeitgleich wird ein Vertrag zwischen Russland und dem Iran über die Lieferungen von 29 Flugabwehr-Raketensystemen umgesetzt. Die USA haben deshalb Sanktionen gegen jene russische Firmen verhängt, die diese Waffensysteme an den Iran liefern, darunter auch gegen den staatlichen russischen Rüstungsexporteur »Rosoboronexport«. Im Resultat der russischen Lieferungen, die neben Flugabwehr-Raketen auch Jagdflugzeuge vom Typ MiG-29 und Kampfbomber vom Typ SU-24 beinhalteten, ist nicht mehr nur die Wirksamkeit von Bombardierungen der iranischen Atomanlagen, sondern auch die Stärke eines möglichen iranischen Gegenschlages unkalkulierbar geworden. Inzwischen ist Russland wieder Weltmarktführer beim Export von Rüstungsgütern in Entwicklungsländer; die Verträge mit Teheran haben diesen Spitzenplatz erst ermöglicht. [7] Damit nicht genug: im Krieg gegen die vom Libanon aus operierende Hisbollah hat Israel modernste, fabrikneue russische Panzerabwehrraketen sichergestellt. Manche waren gar noch mit russischen Begleitpapieren versehen. [8]
Es wäre falsch, diese Partnerschaft Russlands mit den Mullahs und anderen Terrorregimes auf Ökonomisches zu reduzieren. Die Waffenexporte dienen effektiv der Stärkung der militantesten Kräfte gegen die USA und Israel. Und das genau ist ein vorrangiges Ziel der Russen. Vom Kampf gegen den Terrorismus ist in Moskau allenfalls dann die Rede, wenn es sich um separatistische Tendenzen handelt, die an den eigenen Staatsgrenzen zu rütteln drohen. Dabei ist es für Moskau völlig unerheblich, ob es sich um christliche Georgier oder muslimische Tschetschenen handelt.
Russland ist schon lange keine Supermacht mehr und schaut aus diesem Grund mit Missgunst auf die USA. Aus dieser Ranküne heraus hat Russland jedoch immer noch die Potenz, die Außenpolitik der USA zu unterminieren.
Gleichwohl Russland und China die mächtigsten Partner Teherans außerhalb der islamischen Welt sind, so unterstützen auch andere Staaten mit ihren bescheideneren Mitteln die radikale Avantgarde des Antiamerikanismus und eliminatorischen Antizionismus. Dem maroden Castro darin folgend steht sein linkspopulistischer Freund Hugo Chávez Modell für diese Politik: Während eines Besuches in Teheran im Juli 2006 erklärte er im Gespräch mit Al-Djasira: »Israel verübt an den Libanesen dieselben Handlungen, wie sie Hitler an den Juden verübt hat – die Ermordung von Kindern und Hunderten unschuldigen Zivilisten«. Iran und Venezuela seien »Brüder« - Venezuela werde »unter welchen Umständen auch immer« stets an der Seite Teherans stehen. Gemeinsam könne man den Imperialismus der USA besiegen [9]. Bei einem Gegenbesuch von Ahmadinedjad bei Chavéz am 11. Januar 2007 bekräftigen sie nochmals die gemeinsame Haltung zu Fragen des iranischen Atomprogramms und betonen ihre »strategische Allianz« gegen die USA: »Wir fördern die revolutionären Gedanken in der Welt.« [10]
Den Kumpanen der Mullahs kann man viel Arges unterstellen, eines jedoch nicht: Appeasement.
Europa
Die europäische Idee der Nachkriegszeit beruht auf dem Glauben, gegen das amerikanische Modell eine Vision von allgemeiner Gerechtigkeit und internationaler Verrechtlichung, von Kollektiv statt Individuum, von Sozialstaat und Altruismus statt freiem und lebensfeindlichem Markt etablieren zu können. Diese Vision allein würde dann zum entscheidensten Instrument der Weltpolitik werden.
Doch aus dieser Vision wurde vor allem der neuzeitliche Antiamerikanismus geboren, wie ihn Hannah Arendt schon früh als »europäisches Konzept« [11] ausmachte. Spätestens mit der in den 1990er Jahren evident gewordenen Krise Europas hat dieses Konzept, welches sich zu einem welterklärenden System entwickelte [12], seine Funktion darin, das eigene Scheitern – ob auf dem Balkan oder auf den globalisierten Märkten – durch wahnhafte Projektion erträglich zu gestalten.
Lokale Bündnisse
Während sich die europäischen Regierungen verbal noch zumeist an die einstudierten Codes der transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaft halten, entwickeln sich auf lokalpolitischer und außerparlamentarischer Ebene bereits offen agierende Bündnisse mit islamistischen und pro-terroristischen Kräften.
So steht eine der wichtigsten politischen Organisationen der britischen Muslime, der Muslim Council of Britain, nicht nur bekanntermaßen der radikalen Muslimbruderschaft und der Hamas nahe, sondern pflegt auch enge Kontakte zu linksradikalen Parteien und Organisationen auf der Insel, u.a. zur trotzkistischen Socialist Workers Party. Mehr noch: Ausgerechnet Londons Bürgermeister Ken Livingston verteidigt die Organisation gegen jegliche Angriffe. Das Bindeglied zwischen dem roten Ken, dem Muslim Council of Britain und den britischen Trotzkisten ist die gemeinsame Ranküne gegen Israel und die USA. Aufgrund analoger politischer Präferenzen ist auch der politische Imam Yussuf al-Qaradawi, der noch während der Kampagne gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen Anfang 2006 zum weltweiten Heiligen Krieg aufrief, gern gesehener Gast beim Londoner Bürgermeister. Qaradawi, so Livingston über den Fernsehprediger von Al-Djasira, sei eine häufig verunglimpfte progressive Stimme der Mäßigung. Wiewohl wegen antisemitischer Entgleisungen per Gerichtsurteil bereits für vier Wochen vom Bürgermeisteramt suspendiert, fährt Livingston in seiner judenfeindlichen und antizionistischen Manier fort. Ariel Sharon ist ihm ein »Kriegsverbrecher«, der für »ethnische Säuberungen« verantwortlich sei, überhaupt sei die israelische Besatzungspolitik mit der Shoa zu vergleichen. Seine Wähler ficht dies wenig an, im Gegenteil. Livingstons Antwort auf die Anschläge von London, eine Mischung aus verstiegenem Multikulturalismus und ideologieübergreifendem Antisemitismus, scheint in Londonistan [13] heute mehrheitsfähig. Das Bündnis aus Linken und Islamisten ist in London inzwischen Stadtpolitik.
Eine ebenso ›progressive‹ Stimme ist der britisch-pakistanische Streetworker Ahmed Shah, der in Berlin vom Senat für sein Theaterstück »Intifada im Klassenzimmer« die notwendige finanzielle und politische Unterstützung erhielt. Patrick Neu stellt zu diesem Theaterstück in der Jüdischen Zeitung fest:
»Wiederholt werden darin Bezüge und Vergleiche zu Nazi-Deutschland und zum Holocaust angestellt, um die Situation von Arabern und Moslems als unter pauschalem Terrorismusverdacht stehenden Opfern im heutigen Deutschland sowie das Handeln Israels gegenüber den Palästinensern und der USA im Irak darzustellen. Bilder aus Vernichtungslagern sowie aus Guantanamo werden auf eine Leinwand hinter der Bühne projiziert und deutliche Analogien zu der Situation von Muslimen und Arabern in Deutschland suggeriert.« [14]
Shah kam als Kader der bereits erwähnten trotzkistischen Socialist Workers Party von Großbritannien nach Berlin und baute seinem Auftrag folgend die heute vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung »Linksruck« in Deutschland auf. In einer Broschüre der Berliner Geheimdienstbehörde [15] wird explizit auf Shah und dessen antisemitische Elaborate in linken Magazinen hingewiesen. Die Anfragen des Berliner FDP-Abgeordneten Alexander Ritzmann vom Frühling und Sommer 2006 unter dem Titel: »Fördert der Senat antisemitische Jugenprojekte?« wurde von Staatssekretärin Petra Leuschner (PDS) zurückgewiesen; Shah erfuhr unbeschränkte Rückendeckung aus der Berliner Senatskanzlei, die staatliche Förderung seines antizionistischen Theaterstücks wurde gegen jede Kritik verteidigt.
Solche lokalen Projekte und Bündnisse, vom Linksradikalen bis zum Islamisten, sind keine Ausnahme mehr; vermeintliche ideologische Widersprüche werden durch das gemeinsame Feindbild nivelliert. Ob London oder Berlin: Antisemitische und antiamerikanische Projekte und Bündnisse werden wenigstens auf kommunaler Ebene staatlich sanktioniert, legitimiert, subventioniert. Kritik daran wird zurückgewiesen und bleibt praktisch folgendlos. Den von Staats wegen Verantwortlichen nun Appeasement vorzuwerfen, ist Untertreibung. Sie beschwichtigen nicht, sie fördern.
Innenpolitik: Grenzen des Appeasements
Jenseits solcher sich entwickelnder Bündnisse wird innenpolitisch noch zumeist klassisches Appeasement versucht. Zu sehr besteht die Befürchtung, dass Aktionen der Islamisten nicht nur in Europa geplant, sondern auch in Europa selbst – siehe London und Madrid – verübt werden, zu wenig wagt man die Konfrontation mit einer zunehmenden und zunehmend militanten Minderheit.
Jedem möglichen Konflikt soll die Begründung genommen werden, in dem man die Assoziation mit Israel und den USA und deren vehementem Engagement für westlich-liberale Standards zu vermeiden trachtet. Um die islamistische Rage gegen den Westen von sich abzulenken, wird das Europäische, zunehmend auch wieder das Nationale betont. Man will in den Augen der radikalsten Feinde des Westens keinesfalls als originär westlich angesehen zu werden. Dies gelingt Deutschland aufgrund seiner antiwestlichen und antiliberalen Geschichte nur all zu gut. Ein linker Vordenker dieser Taktik ist der Sozialdemokrat Egon Bahr, einst engster politischer Weggefährte von Bundeskanzler Willy Brandt. Er widerspricht, vom furchtbaren Vergangenen nicht angekränkelt, ausdrücklich dem Historiker Heinrich August Winkler und dessen These von Deutschlands »langem Weg nach Westen« [16]. Bahr gibt sich in seiner positiv gemeinten Wendung »Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal« [17] selbstbewusst und fordert »deutsche Souveränität«. Politische Entscheidungen dürften nicht mehr länger von den alliierten Siegermächten getroffen werden; es sei Zeit für den Schlussstrich: »Die europäische Zukunft ist wichtiger als die deutsche Vergangenheit.« In der fortwährenden Betonung der »Emanzipation« gegenüber dem »sich hegemonial gebenden Amerika« spricht Bahr sich für ein »zivilisiertes Gegenmodell« zu den USA aus. Die rot-grüne Bundesregierung folgte der von Bahr formulierten Linie; Bundeskanzler Schröder übernahm prompt die Vokabel vom »deutschen Weg«, changierend zwischen außenpolitischem Antiamerikanismus und innenpolitischem laisser-faire gegen Islamisten, als Toleranz und Multikultur verbrämt. Damit ist ein erstes Zeichen des klassischen Appeasements gesetzt und geht doch schon darüber hinaus: Verschont uns, wir sind nicht gegen, wir sind mit euch; eure Ranküne gegen Amerika ist die unsere.
Ein zweites Zeichen ist die Bemühung, jede all zu offensive Kritik am Islamismus zu unterdrücken, jede mögliche »Beleidigung« zu unterbinden. Die in vorauseilendem Gehorsam vor dem religiösen Mob exekutierte einstweilige Absetzung von Mozarts »Idomeneo« an der Deutschen Oper in Berlin im Herbst 2006 ist nur ein Beispiel dafür, und nicht einmal das gravierendste. Denn abseits des Kulturbetriebes und abseits größerer öffentlicher Wahrnehmung entwickelt sich der deutsche Staat schon zum unmittelbaren Schutzpatron der Islamisten. Vor Einführung der Scharia genügt vorerst noch das deutsche Gesetz.
Im Januar 2007 wird der 28-jährige David Goldner, Politikwissenschaftler und erklärter Nazigegner, in Bayern wegen § 86a Strafgesetzbuch verurteilt. Der Straftatbestand: »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Er hatte auf einem Werbeflugblatt für eine Veranstaltung zum Band »Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus« [18] das Titelbild des Buches verwendet: mit Hitlergruß salutierende arabische Islamisten. [19] Wenn Islamisten und andere Judenfeinde so unvorteilhaft wie wahrheitsgetreu per Bild in den richtigen politischen Kontext gestellt werden, muss ausgerechnet ihr Kritiker mit staatlicher Verfolgung rechnen. Nicht der »Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten, der auf Juden und Jüdinnen zielt« (so ein Zitat aus dem Flugblatt) wird von deutschen Gerichten unter Strafe gestellt, sondern dessen Abwehr. Damit wird den Islamisten signalisiert, sie könnten sich hierzulande auf ein ruhiges Hinterland verlassen.
Ein anderer Paragraf, der § 166 Strafgesetzbuch, will die »Störung des öffentlichen Friedens« aufgrund der »Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen« verhindern und kommt gegen Kritiker des Islam im letzten Jahr gleich mehrfach zur Anwendung:
Eine Website mit einer Mohammed-Karikatur wird ohne Gerichtsverfahren abgeschaltet, die Betreiber vom Staatsschutz bedroht, ein Gerichtsverfahren läuft [20] . Gegen das Verfahren wendet sich eine Petition, in der festgestellt wird: »...es muss erlaubt sein, religiöse, politische oder öffentliche Autoritäten zu beleidigen, zumal wenn sie seit 1400 Jahren tot sind. Denn wer diese antiautoritäre Freiheit beschneiden will, dringt auf blinden Respekt der Herrschaft – ob diese sich nun islamisch, faschistisch, sozialistisch oder demokratisch nennt.« [21] Doch diese Petition findet wenig Unterstützung. Der bayrische Ministerpräsident fordert gar eine weitere Verschärfung des § 166 und negiert die deutsche Dialektik: Denn der § 166 stellt ja noch nicht per se Religionskritik unter Strafe – so kann das Erbe der Aufklärung weiter behauptet werden – sondern nur jene Kritik, die den »öffentlichen Frieden« zu gefährden droht. Und was diesen »öffentlichen Frieden« nun gefährdet, was also Gotteslästerung ist, so schreibt Felix Mauser über die »Gemeinschaft der Beleidigten«, bestimmt der Mob. [22]
Auch eine als Politsatire platzierte Toilettenpapierrolle mit dem Aufdruck »Koran« führt zum Verfahren, nachdem die iranische Botschaft in Berlin sich beim deutschen Außenministerium beleidigt zeigt. Der Richter weiß: »Aus so etwas kann ein Orkan werden mit unabsehbaren Folgen.« Nach dem Verfahren stellt er zufrieden fest, dass ein »deutliches Zeichen nach außen gesetzt worden« sei«: Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zusätzlich Ableistung von 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit. [23]
Ein solches »deutliches Zeichen« geht an Islamisten und Islamkritiker gleichermaßen: den Islamisten das Appeasement, das begrifflich seine Grenzen schon deutlich überschreitet, den Kritikern die Härte eines Gesetzes, dass zunehmend Scharia-kompatibel erscheint. So versucht man die Djihadisten zu erweichen, nicht hierzulande zu bomben.
Irans »Sicherheitsinteressen«
Mag man der Innenpolitik das Label Appeasement noch nicht versagen, in der Außenpolitik geht der Begriff aber vollends fehl. Wiewohl man sich außenpolitisch noch an die transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaften formal gebunden zeigt, sieht die politische Realität hier de facto längst schon anders aus.
Human Rights Watch erklärt in einer Presseerklärung im Januar 2007, man erhoffe ausgerechnet von Deutschland, es würde »während der EU-Präsidentschaft die Mitgliedsstaaten der Union dazu drängen, eine globale Führungsrolle in Menschenrechtsfragen zu übernehmen«, um eine »entschlossene und prinzipientreue Politik der EU« herbeizuführen [24]. Was genau damit gemeint sein könnte, wird am konkreten Anlass der Presseerklärung deutlich: Human Rights Watch begeht den »Jahrestag von Guantanamo«. Kenneth Roth, Direktor der Organisation, lobt die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel an Guantanamo und fühlt seine Position durch sie bestätigt: »Da die USA keine glaubwürdige Führungsrolle in Sachen Menschenrechte übernehmen können, sollte Deutschland seine europäischen Partner davon überzeugen, diese Rolle auszufüllen.« Qualifiziert wäre Deutschland, so Human Rights Watch, insbesondere wegen seiner Erfahrungen im Iran.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, scheint solche Erfahrungen mit dem Iran zu haben, er glaubt nämlich, der Iran habe »berechtigte Sicherheitsinteressen in der Region, die nur mit Hilfe der Vereinigten Staaten wirksam angesprochen werden können« [25]. Nicht ist die Rede von der Gefährdung der Sicherheit in der Region durch den Iran, beispielsweise durch die Finanzierung der Hisbollah und der Hamas in ihren Angriffen auf Israel. Im Gegenteil: der als Transatlantiker geltende Außenpolitiker forciert die inzwischen in der Endlosschleife des europäischen Diskurses gelandete Rede von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« des Iran gegenüber den USA. Damit übernimmt er die Position aller Antiamerikaner, der ›wahre Aggressor‹ säße in Washington, nicht in Teheran.
Denn die Vokabel von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« impliziert nichts weniger als die Annahme, die Vereinigten Staaten könnten unbegründet und ungerechtfertigt gegen das Mullah-Regime militärisch vorgehen. Die Forderung nach Sicherheitsgarantieren, zu denen ausgerechnet direkte Gespräche zwischen Washington und Teheran beitragen sollen, bedeutet, dass unter keinen Umständen eine Koalition der Willigen die Mullahs militärisch daran hindern soll, die Bombe zu bauen. Die Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« unter gleichzeitigem Verschweigen der Bedrohung durch den Iran – also insbesondere das absichtsvolle Ausblenden israelischer Sicherheitsinteressen – gibt den Mullahs in der letzten Konsequenz sogar darin Recht, wenn sie eine amerikanisch-israelische Gefahr behaupten und sich davor – gegebenenfalls mit Atomraketen – nur zu schützen vorgeben.
Nachdem Polenz mit der Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« die Anmaßungen der Mullahs unterstützt, versucht er im Gegenzug denen die Legitimation zu nehmen, die auf ein härteres Vorgehen gegen den Iran drängen. Denn er behauptet gegen jede Realität, es wäre »die gesamte Staatengemeinschaft, die verhindern will, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt« und gibt somit implizit Entwarnung. Eine ganze Welt gegen das iranische Atomwaffenprogramm – worum sorgen sich dann Amerika und Israel? Bei so viel Einigkeit erscheinen amerikanisch-israelische Alleingänge gänzlich unnötig, ja kontraproduktiv.
Kein Geringerer als der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, stärkt somit objektiv die Position der Mullahs und schwächt die der Amerikaner und Israelis. Er tut dies stellvertretend für den außenpolitischen Mainstream in Europa.
Was bei Polenz noch diplomatisch und deshalb moderat klingt, drückt Peter Gauweiler, sein konservativer Fraktionskollege und ebenso wie Polenz im Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages tätig, schon deutlicher aus. In einem Interview mit dem Deutschandradio Kultur wirft er mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten der amerikanischen Regierung eine Ausrottungspolitik gegen fremde Kulturen wie dereinst gegen Apachen und Sioux vor und bedauert zutiefst, dass in Washington »diejenigen leider die Oberhand bekommen haben, die in einer falsch verstandenen weltanschaulichen Angeberei jetzt gedacht haben, jetzt sind wir das neue Imperium Romanum« [26]. Wer so sehr gegen das zivilisatorische Engagement der Amerikaner wütet und sich statt dessen auf Seiten der Zivilisationsfeinde engagiert, der ist über klassisches Appeasement schon längst hinaus. Gemeinsam mit den Mullahs, mal diplomatisch codiert, mal offen formuliert, wird Stimmung gegen Amerika und Israel gemacht.
Business Berlin – Teheran
Allenfalls empfiehlt die deutsche Außenpolitik noch »maßvollen Druck« auf den Iran, wie es Polenz formuliert, sowie Anreize »zur wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit«. Selbst wenn die Mullahs dem »maßvollen« Drücken der Europäer nachgeben sollten und auf die Bombe verzichten, so wird als Belohnung von den Europäern darauf abgezielt, dass ein Terrorregime wirtschaftlich und technologisch gestärkt wird. Gegen wen sich das ökonomische und technologische Potenzial der Teheraner aber richtet, hat nicht zuletzt der Krieg der vom Libanon aus operierenden Hisbollah gezeigt. Dergestalt trägt europäische Wirtschafts- und Entwicklungspolitik Früchte.
Dass Teheran heute so solvent und potent dasteht, dazu hat insbesondere die Bundesrepublik erheblich beigetragen. Nicht ohne Genugtuung vermeldet deshalb die Deutsche Botschaft in Teheran:
»Iran ist der wichtigste deutsche Exportmarkt in der gesamten Region Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten. Deutschland ist umgekehrt für Iran ein Hauptlieferland. Deutsche Unternehmen sind in fast allen industriellen Sektoren Irans tätig. Schwerpunkte sind die Petrochemie, Elektrizitätserzeugung und -verteilung, Verkehrstechnik und Automobilindustrie, Schiffbau, Aluminium- und Stahlindustrie sowie der Wasser- und Abwasserbereich. Der Deutsch-Iranische Außenhandel entwickelte sich in den letzten Jahren sehr dynamisch. Der zweistellige Aufwärtstrend der vergangenen Jahre hielt auch im vergangenen Jahr an; 2005 lieferte Deutschland 24% mehr Waren nach Iran und der Iran 18% mehr Waren nach Deutschland als im Vergleichszeitraum 2004.« [27]
Dass Kapitalinteressen durchaus hinter Sicherheitsinteressen zurücktreten können, beweisen die Vereinigten Staaten. Jede Firma, ob amerikanische oder europäische, muss mit erheblichen Problemen rechnen, wenn sie sich im Iran engagiert. Erst auf Druck der USA stoppt beispielsweise die Commerzbank Anfang 2007 als letzte westliche Bank die Dollargeschäfte mit dem Iran; man beuge sich, so ein Sprecher der Bank, dem »moralischen Druck« der USA [28]. Statt die Austrocknung der für die Finanzierung des internationalen Terrorismus so wichtigen Dollartransaktionen zu begrüßen – die Petrodollars werden dabei in die Währungen der Technologie- und Waffenlieferanten der Mullahs getauscht – gibt es in Deutschland vehemente Kritik an den USA, die weit über die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates hinausgehen würden. Das Bundesfinanzministerium stellt heraus, sich nicht am Druck auf die Commerzbank beteiligt zu haben: »Das ist nicht unsere Art von Politik.« Derweil betont die Commerzbank, man werde aber auf jeden Fall das Geschäft der Eurotransaktionen mit Teheran fortsetzen.
Es ist interessanterweise eine wirtschaftsliberale Zeitung, die Financial Times Deutschland, die als eine der wenigen deutschen Stimmen das Ausbleiben wirksamer Sanktionen gegen den Iran bedauert und das Vorgehen der USA, den Iran in der Geschäftswelt »zum Paria« zu machen, begrüßt. Denn die Ökonomie sein ein wichtiger Hebel gegen die Mullahs: »Wenn Teheran erkennt, welch hohen Preis sein Konfrontationskurs hat, kann das nur nützen.« [29] Es ist offensichtlich: wirtschaftliche und politische Interessen treffen sich, wenn Berlin mit Teheran Geschäfte macht. Dass die vernünftige Politik der Amerikaner, den Iran ökonomisch wie politisch zu isolieren, auf so viel deutschen Widerstand stößt, kann mit Kapitalinteressen allein nicht erklärt werden, anderenfalls müssten der Financial Times Deutschland und erst recht den oft als »neoliberale Imperialisten« gescholtenen Amerikanern ökonomisches Desinteresse attestiert werden.
Teheran ökonomisch wie politisch zu stärken, ihre ›legitimen‹ Sicherheitsinteressen gegen die USA zu propagieren, entspringt kaum der deutschen und europäischen Angst vor den Mullahs. Vielmehr scheint, das Gegenteil wäre der Fall.
Eliminatorischer Antizionismus
Was den Nationalsozialisten in Europa nicht gänzlich gelang, droht nun mit der iranischen Bombe zu geschehen. Die ›Endlösung der Judenfrage‹ wird als ›Endlösung der Israelfrage‹ versucht. Der israelische Historiker Benny Morris glaubt, der »zweite Holocaust« sei nicht mehr aufzuhalten. Er weiß, wie sehr dann westlicher und nahöstlicher Wahn zusammengefallen sein werden:
»So wie dem ersten wird auch dem zweiten Holocaust ein Jahrzehnt vorangegangen sein, in dem die Herzen und Hirne auf ihn vorbereitet wurden. Verschiedene Botschaften haben verschiedene Publikumskreise erreicht, aber alle haben nur einem Ziel gedient, der Dämonisierung Israels. Muslimen auf der ganzen Welt wurde beigebracht, dass ›Israel vernichtet werden‹ muss. Die Leute im Westen wurden auf subtilere Art belehrt: ›Israel ist ein rassistischer Unterdrückerstaat‹ und ›Israel ist im Zeitalter des Multikulturalismus ein überflüssiger Anachronismus‹. Generationen von Muslimen und zumindest eine Generation von Leuten im Westen wurden nach solchen Glaubenssätzen erzogen.« [30]
Diese »subtilere Art« im Westen hat Gründe. Wegen Auschwitz als unvollendeter deutscher Tat von europäischem Ausmaß war nach der nationalsozialistischen Niederlage eine Fortsetzung des originär gegen die Juden gerichteten Antisemitismus unmöglich geworden. Antisemitismus als fortwesender Wahn musste sich ›ehrenwerte‹ Formen suchen, die Ranküne sollte sich fortan aus ›einsichtigen‹ Gründen speisen, durfte nicht länger offensiv auf die Judenvernichtung abzielen. Der Nationalsozialismus und mit ihm der rassistische Antisemitismus hatten sich zu sehr desavouiert. Die Bemühungen um eine neue Form, um einen ›antifaschistischen‹ Antisemitismus, gipfelten im eliminatorischen Antizionismus. Das postnationale Europa gegen die jüdische Nation, das postfaschistische Deutschland gegen das faschistische Regime in Israel, die linken Kinder der faschistischen Mörder gegen den ›Vernichtungskrieg‹ Israels gegen die Palästinenser – aus dieser Konstellation erwächst ein Hass aus ›reinem‹ Gewissen, denn er richtet mit ›guten‹ Gründen gegen die Juden, die nun die Zionisten heißen.
Den Krieg gegen Israel unvermittelt zu propagieren verbietet sich nicht zuletzt in Deutschland noch aus der all zu eindringlichen Präsens des Vergangenen. Die Erledigung dieser Vergangenheit wird aber längst schon betrieben, ob im Rahmen der Relativierung der deutschen Verbrechen als universal Bösem oder in der Fokussierung auf deutsches Leid und der entsprechenden Zuspitzung im deutschen Opfergefühl, das in der Täter-Opfer-Verdrehung zwar vom ›alliierten Bombenterror‹, nicht mehr aber von der Shoa etwas wissen will. Solange dieses geschichtsrevisionistische Programm von links und rechts nicht gänzlich abgeschlossen ist, sieht sich zumindest der Antizionist des politischen Establishments noch aus Opportunitätserwägungen zur Zurückhaltung genötigt. Er wünscht sich ein Ende der ›Mauer‹, und nimmt Israel die Möglichkeit zur Selbstverteidigung. Er formuliert die Vision eines ›multiethnischen‹ Staates, und spricht Israel seinen jüdischen Charakter ab. Aus dem antisemitischen Traum vom Ende der Juden ist der antizionistische Traum vom Ende Israels geworden.
In solchen deutsch-europäischen Wünschen und Visionen drückt sich in »subtiler Art« eine Politik aus, durch die der Iran und die von ihm finanzierten Terrorbanden freie Hand erhalten, das einst von Deutschland in Europa nicht zu Ende gebrachte Morden im Nahen Osten endgültig zu erledigen.
Wo europäischer und islamistischer Judenhass konvergieren – gleich ob als Antizionismus in Europa nur schlecht getarnt, als Holocaustleugnung und Holocaustrechtfertigung der Teheraner Konferenz hinreichend explizit oder als Aufruf zum Judenmord bei Hamas und Hisbollah ganz offenbar – da ist die Rede von Appeasement wohl gänzlich hinfällig.
Historische Differenzen
Noch einmal der Blick zurück: So sehr Chamberlain die Nationalsozialisten gewähren ließ und zu lange auf Widerstand verzichtete, seine Feinde hat er keinesfalls massiv ökonomisch gestärkt und aktiv politisch unterstützt. Vor der aggressiven deutschen Außenpolitik hat Chamberlain zwar kapituliert und sie geduldet, er tat dies aber nicht mit dem Verweis auf ›legitime‹ Interessen seiner Feinde. Und die Tschechoslowakei wurde mitnichten als gemeinsames Zielobjekt deutscher Aggressionen und britischer Aversionen verstanden; vielmehr glaubte Chamberlain, durch die Duldung der Annexion des Sudetenlandes wäre der hohe Preis dafür bezahlt, den Fortbestand des tschechoslowakischen Staates überhaupt noch zu sichern. Deshalb auch kommt das Münchner Abkommen ganz ohne jede Rechtfertigung der Annexion tschechoslowakischer Gebiete aus; im Zusatz zum Abkommen wird vielmehr die britische Hoffnung betont, durch eine »internationale Garantie der neuen Grenzen des tschechoslowakischen Staates gegen einen unprovozierten Angriff« würde die deutsche Aggression enden [31].
Wenn Chamberlains Politik Appeasement war, so fällt es schwer, die aktuelle deutsche und europäische Politik gegenüber dem Iran auf den gleichen Begriff zu bringen. Historische Vergleiche können dann besonders fruchtbar sein, wenn sie die Differenzen zwischen einst und heute offenbaren.
Kein Appeasement
Die Rede vom Appeasement, so ist zu schlussfolgern, wird mit Blick auf Europa zunehmend problematischer. Beim Appeasement wird von einer realen Bedrohung durch einen Aggressor ausgegangen. Die Umfragen in Europa sowie die Rede von den »legitimen Sicherheitsinteressen« des Iran zeigen aber, dass der Aggressor eher in den USA und in Israel gesehen wird. Diesen liberalen Demokratien wird viel eher als dem islamfaschistischen Iran ein Angriffskrieg zugetraut. Ein Schlag gegen Teherans Atomanlagen als letzte Option vor der iranischen Bombe würde hierzulande keineswegs akzeptiert werden.
Beim Appeasement wird den Forderungen eines Aggressors nachgegeben. Doch braucht der Iran gar keine Forderungen zu erheben. Die Europäer, allen voran die Deutschen, munitionieren den Iran ökonomisch wie technologisch. Nicht, weil es Teheran mit Drohungen verbunden einfordert, sondern weil es Europas und hier besonders Deutschlands eigenen ökonomischen wie politischen Interessen entspricht. Die ökonomischen liegen auf der Hand, die politischen bestehen in der Stärkung eines Regimes, dass die Amerikaner stellvertretend und in einer Weise düpiert, wie es selbst (noch) nicht gewagt wird. Das Auftrumpfen des Iran gegen den Westen, mithin die Farce im Weltsicherheitsrat, wird in Europa mitnichten als Versagen der europäischen Außenpolitik gewertet, vielmehr als Schmach der Amerikaner goutiert.
Beim Appeasement werden im Rahmen des Beschwichtigens und Nachgebens eigene essenzielle Werte aufgegeben, um den Frieden zu sichern. Doch scheint es zweifelhaft, wie essenziell in Europa noch die Werte von Vernunft und Aufklärung sind, werden sie doch immer mehr einem Kultur- und Werterelativismus geopfert, wird die Rede von universalen Menschenrechten nur gegen die USA und Israel geführt, sonst aber das ›Menschenrecht‹ auf autochthone Kultur propagiert, wie vormodern und unmenschlich sie jeweils auch sei.
So ist es oft verfehlt, heute noch von Appeasement zu reden; ja es grenzt in Teilen gar an Verharmlosung.
Man wünschte sich doch vielmehr, die deutsche und europäische Politik wäre tatsächlich noch richtig mit Appeasement beschrieben, dann könnte man – wie es mit einem Walter Laqueur sicher nicht absurd erschiene – ernsthaft über die Frage der richtigen Mittel gegen einen gemeinsam als Aggressor Erkannten streiten; auch darüber, ob die politische Entwicklung nicht doch noch reversibel sei, ob die Angst vor den Mullahs, die Befürchtung, eine unmittelbare Konfrontation nicht mehr gewinnen zu können, wirklich berechtigt ist.
Vielmehr aber scheint es notwendig, die Gemeinsamkeiten und Interpendenzen zwischen einem postmodern regredierten Alteuropa und dem politischen Islam ernster zu nehmen als die ideologischen und politischen Differenzen, die allemal noch existieren mögen.
Der Antiamerikanismus wie der eliminatorische Antizionismus sind in Alteuropa längst schon mehrheitsfähig; sie werden allenfalls aus Opportunitätserwägungen, auch zur Wahrung des eigenen guten Gewissens, noch diplomatisch codiert. Derweil schreiten die Mullahs von Europa ungehindert zur Tat. Die Instrumente der europäischen wie der internationalen Staatengemeinschaft versagen dabei keinesfalls, geht es doch im Kern darum, die Bemühungen der Amerikaner und Israelis im Nahen und Mittleren Osten scheitern zu lassen. In den aus diesem Grunde höchst belanglosen Resolutionen der Vereinten Nationen gegen die Mullahs, wie der im Dezember 2006 bezüglich des iranischen Atomprogramms verabschiedeten, wird die Mähr der internationalen Verrechtlichung als antiimperialistischem und antimilitaristischem Programm perpetuiert; solche Resolutionen dienen, wiewohl sie mit kritischer Pose auftreten, allenfalls der Schwächung einer notwendig entschiedeneren Position gegen die Bombe der Islamisten.
Was gemeinhin als Appeasement kritisiert wird, ist oft nur noch dessen Simulation. Manchmal nicht einmal mehr das.
[1] Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht. Berlin: Propyläen Verlag 2006
[2] Winston S. Churchill: Reden in Zeiten des Krieges. Hamburg, Wien: Europa Verlag 2002
[3] ebenda
[4] Botschaft von Abu Dudschan al-Afghani, Militärsprecher der al-Qaida, 13. März 2003 (zwei Tage nach den Anschlägen von Madrid)
[5] http://pewresearch.org und http://pewglobal.org/reports/display.php?ReportID=252
[6] http://www.epo.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1672&Itemid=84
[7] http://www.aktuell.ru/russland/wirtschaft/russland_weltmarktfuehrer_beim_waffenexport_1480.html
[8] http://www.aktuell.ru/russland/politik/israel_hofft_auf_russischen_kurswechsel_in_nahost_3215.html
[9] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/11/das-antlitz-des-hugo-c.html
[10] http://onnachrichten.t-online.de/c/10/12/80/84/10128084.html
[11] Hannah Arendt: Zur Zeit. Politische Essays. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1999
[12] Thomas Uwer u.a. (Hg.): Amerika. Der »War on Terror« und der Aufstand der Alten Welt. Freiburg: ça-ira Verlag 2003, dort insbesondere das Vorwort
[13] Melanie Phillips: Londonistan. New York: Encounter Books 2006
[14] zitiert nach: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/09/intifada-bhnenreif.html
[15] Berliner Verfassungsschutz: Im Fokus: Antisemitismus. Berlin 2004
[16] Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. München: C. H. Beck Verlag 2000
[17] Egon Bahr: Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal. München: Klaus BlessingVerlag 2003
[18] Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira Verlag 2006
[19] http://lizaswelt.blogspot.com/2007/01/garmischer-tragikomdie.html
[20] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/02/koranrolle-vorwrts.html
[21] http://www.anti166.tk/
[22] http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web50-1.htm
[23] ebenda
[24] http://hrw.org/german/docs/2007/01/11/global15046.htm
[25] http://www.politikerscreen.de/index.php/Main/Artikel/id/124970/
[26] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/579685/
[27] http://www.teheran.diplo.de/Vertretung/teheran/de/05/Wirtschaft.html
[28] http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdienstleister/149140.html
[29] http://www.ftd.de/meinung/kommentare/149316.html
[30] http://www.welt.de/data/2007/01/06/1165992.html?s=2
[31] http://www.glasnost.de/db/DokAus/38muenchen.html
Montag, 1. Januar 2007
Der Generalsekretär
Gegen Antisemitismus und Antizionismus offen anzutreten setzt einiges an Leidensfähigkeit voraus, in Deutschland allzumal. Diese besitzt der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, offenbar nicht. Vielmehr fährt er den Wenigen in die Parade, die sich mit dem antisemitischen Normalzustand noch nicht arrangiert haben. Immer mehr Stimmen in den jüdischen Gemeinden fordern deshalb seinen Rücktritt.
Das iranische Mullah-Regime hat alles daran gesetzt, im Jahr 2006 eine »Welt ohne Zionismus« ideologisch wie militärisch vorzubereiten. Die Doppelstrategie der im Dezember in Teheran durchgeführten »Holocaust-Konferenz« ging auf: Entweder es gab keinen Holocaust, wie es vor allem die neonazistische Fraktion der Konferenzgäste behauptete, dann hat Israel als Zufluchtsort verfolgter Juden historisch keine Existenzberechtigung. Oder aber es gab den Holocaust sehr wohl, wie dies stellvertretend einige Extremisten der ultra-orthodoxen jüdischen Sekte Neturei Karta dem iranischen Präsidenten versicherten, dann war der Holocaust die gerechte Strafe Gottes für den Zionismus. Die »Orthodoxen Juden vereint gegen Zionismus«, wie sie sich selbst nennen, oder »Juden für Ahmadinedjad«, wie sie Alan Dershowitz jüngst in der Jerusalem Post zutreffend titulierte [1] , stellen gleichwohl die Zahl von 6 Millionen Ermordeten in Abrede. Einer der Konferenzteilnehmer, Moishe A. Friedman, der sich als »Oberrabbiner der Orthodoxen Antizionistischen Gemeinde Österreichs« ausgibt, formulierte dies auf einer deutschen Neonazi-Website so:
»In diesem Zusammenhang muss man auf die Tatsache hinweisen, dass die wahren Hintermänner, Finanziers und zum Teil Vollstrecker der Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg Zionisten waren. [...] Die Gründer des Zionismus, der eine wirklich verbrecherische Sekte ist, haben als eine ihrer ersten Aktionen eine Reise nach Deutschland unternommen, um die Judenfeindlichkeit anzuheizen. Gleichzeitig haben die Zionisten alle möglichen Maßnahmen in die Welt gesetzt, um das deutsche Volk zu provozieren, zu erniedrigen und zu boykottieren, und sie haben bei allen Weltregierungen erfolgreich gegen Deutschland Lobbyarbeit betrieben, unter anderem beim bolschewistischen Russland, aber auch in England und Amerika. [...] Das deutsche Volk hat in keiner Weise in erster Linie eine Strategie zur Vernichtung der Juden verfolgt. Es ging den Nationalsozialisten anfangs darum, die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Wirkliches Interesse an einem Genozid an den Juden hatten vielmehr die Zionisten, die hofften, dadurch die nötige Unterstützung (politischer und finanzieller Natur) für die Errichtung eines jüdischen Staates Israel zu gewinnen.« [2]
Will man es zynisch fassen, so nimmt sich gegen derlei Wahn Ahmadinedjads Spekulation beinahe moderat aus, dass, hätte es den Holocaust tatsächlich gegeben, Israel wenigstens nicht im Nahen Osten sondern in Europa hätte gegründet werden müssen. Auf die Doppelstrategie der Konferenz, zwischen den Optionen Holocaustleugnung und Holocaustbefürwortung zu changieren, und damit an jeden Antisemiten gleich welcher Art ein Angebot zu machen, hat bereits Karl Pfeifer in einem Aufsatz hingewiesen [3]. Damit wurde in Teheran auf einer ideologischen Ebene unhintergehbar klar gemacht, was militärisch in den Nuklearanlagen des Iran vorbereitet wird: nichts weniger als die ›Endlösung der Israelfrage‹.
Dieser Fortsetzung des Holocaust mit neuzeitlichen Waffen wird von den Institutionen der ›internationalen Staatengemeinschaft‹, mithin den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, kein Appeasement entgegengebracht. Eine Politik des Appeasements nämlich setzte voraus, dass aus Sorge und Angst motiviert ein Feind zu beschwichtigen versucht wird. Der Iran aber wird kaum als Feind gesehen, von Sorge und Angst um Israel kann kaum die Rede sein. Allenfalls geht es darum, durch unbedeutende Handelseinschränkungen, verbunden mit der Beteuerung, die Hand bliebe zum Dialog jederzeit ausgestreckt, den eigenen, schon lang nicht mehr selbst geglaubten Phrasen wenigstens die äußerste Spitze der Absurdität zu brechen. Die Simulation des Appeasements will kaschieren, dass man mitnichten bereit ist, den Iran von der Realisierung seiner Vernichtungsphantasien abzuhalten. Längst schon sind wesentliche Teile von UNO und EU bereit, Israel zu opfern, ja durch willentliche Apathie an der Vernichtung Israels mitzutun.
Pro-israelische Organisationen wie »I like Israel« (ILI) und »Honestly Concerned« (HC) rufen deshalb für den 28. Januar 2007 in Berlin zu einer Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr der nuklearen Ambitionen des Iran auf. Diverse jüdische und nichtjüdische Organisationen unterstützen bereits die Vorbereitungen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, machte aber in einem Schreiben an die Organisatoren unmissverständlich klar, dass von seiner Seite aus nichts zu erwarten ist: »Wir machen nicht mit und es gibt auch keine finanzielle Unterstützung.« Punktum. Dieses Statement des Sekretärs verwundert kaum; es passt zu dessen politischer Omnipotenz.
Denn der Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch wird kaum nachgesagt, in ihrem Amt besondere politische und organisatorische Stärken zu zeigen. Damit eröffnet sie ihrem Generalsekretär hinreichende Spielräume für dessen eigene Vorstellungen. Während sein autoritärer Führungsstil und sein autarkes politisches Agenda-Setting in den jüdischen Gemeinden auf immer deutlichere Kritik treffen, scheint sich im Zentralrat selbst bislang kaum jemand daran zu stören. Der bundesrepublikanische Mainstream schließlich kann sich über den amtierenden Zentralrats-Sekretär erst recht nicht beschweren. Denn er zeigt sich weitgehend Deutschland-kompatibel: »Wir müssen moderne Definitionen für unsere Werte entwickeln. Begriffe wie Patriotismus oder Nationalismus dürfen nicht tabuisiert werden. Die Gefahr, dass sie von Radikalen und Extremisten missbraucht werden, ist zu groß.« Auch wenn es um den alten und neuen Judenhass geht, zeigt sich der Sekretär handzahm. In Zeiten des wachsenden, sich in gesellschaftlich-opportune »Israelkritik« transformierenden Antisemitismus pflegt Stephan J. Kramer alte Rituale und neue Verharmlosungs-Strategien.
Zu den alten Ritualen gehört die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus. Ihm werden die immergleichen Stellungsnahmen und Forderungen nach »nationalen Aktionsplänen gegen Rechts« entgegengesetzt. Dass der ›Aufstand der Anständigen‹ zwar das bundesrepublikanische Gewissen, nicht aber die ostzonalen Browntowns beruhigte, dass nicht »nationale Aktionspläne« sondern zivilisatorische Mindeststandards in den ›national befreiten Zonen‹ fehlen, scheint auch nach 16 Jahren gesamtdeutschen Rechtsextremismus´ noch nicht begriffen worden zu sein. Die historischen Analogien, mit denen Charlotte Knobloch die Verlautbarungen ihres Generalsekretärs noch übertrifft, gehen erst recht fehl. So meinte sie im Herbst 2006 mit Blick auf das Erstarken der NPD und ihrer angeschlossenen Banden: »Antisemitische und rechtsradikale Attacken haben eine Offensichtlichkeit und Aggressivität erreicht, die an die Zeit nach 1933 erinnert.« Das aber ist bei aller berechtigten Sorge grundfalsch. Die Behauptung, es drohe Gleiches oder Ähnliches wie 1933, macht es unmöglich, die neuen und modifizierten Formen des Antisemitismus heute zu erkennen, die offensichtlich anders, aber in der Konsequenz nicht weniger grauenhaft sind als die des rassistischen NS-Antisemitismus. Deshalb wies Theodor W. Adorno schon Ende der 1950er Jahre, als bereits einmal neofaschistische Parteien und Gruppierungen an Stärke gewannen, auf heute noch Gültiges hin: »Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.« [4]
Die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus und damit die Verharmlosung des linken, sich als ›Israelkritik‹ ehrbar gebenden Antisemitismus betreibt selbst ein der CDU nahe stehender Stephan J. Kramer mit. In einem Interview im Oktober 2006 auf den linken Antisemitismus angesprochen meinte er, »man muss sagen, qualitativ und quantitativ kann man das nicht gleich setzen. Da liegen Welten dazwischen. Aus dem rechten Spektrum kommt ein deutlich intensiverer und gewalttätigerer Antisemitismus.« [5] Die in der Bundesrepublik Jahrzehnte lang übliche Überbewertung des Linksextremismus und zeitgleiche Unterbewertung des Rechtsextremismus hat sich inzwischen komplett verkehrt. Gerade der linke Antisemitismus konnte sich, weil anders als der rechte Judenhass gesellschaftlich kaum sanktioniert, als legitime Position selbst in der politischen Mitte etablieren. Der Sekretär macht es den ›ehrbaren‹ Antisemiten dabei sehr leicht, betont er doch allenthalben, dass zwischen ›antiisraelisch‹ und ›antisemitisch‹ unterschieden werden müsse[6]. So stellte er sich auch offen gegen die Entscheidung seines Zentralrats, die vor Ranküne überbordenden Äußerungen der deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zum Libanon-Krieg als antisemitisch zu bezeichnen. Damit nicht genug; laut Stephan J. Kramer sei Antisemitismus stets nur »Teil eines größeren Problems, nämlich des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit«. Die Juden dürften sich als »Exklusivgruppe« nicht herausstellen und ausklammern. Damit kommt der Sekretär denen weit entgegen, die stets das Singuläre des Antisemitismus, mithin der Shoa zu leugnen trachten, die implizit den Vorwurf erheben, Juden würden den Antisemitismus politisch instrumentalisieren. Durch die Generalisierung als »Ausgrenzung von Minderheiten« kann Stephan J. Kramer nur immergleiche Mechanismen erkennen, »ob es Schwule, Lesben, Alte, Behinderte, um nur einige Beispiele zu nennen, sind.« [7] Diese begriffliche Auflösung fördert notwendig den Verlust der Möglichkeit einer jeden politischen und psychosozialen Analyse des Antisemitismus. Aus dem begrifflichen Unvermögen folgt notwendig das politische. Befördert wird ausschließlich die Verharmlosung.
Folgerichtig gehört zu den neuen Verharmlosungs-Strategien von Stephan J. Kramer auch, den antisemitischen Kampfbegriff ›Islamophobie‹ mit hoffähig zu machen. In der ›Islamophobie‹-Debatte, die ursprünglich von den Teheraner Mullahs inszeniert wurde, geht es im Kern um die Behauptung, es gäbe eine dem Antisemitismus ähnliche Bedrohung gegen Muslime; ja, die Muslime wären die Juden von heute. Muslime würden aufgrund ihrer Religion diskriminiert und verfolgt, ein antiislamischer ›Holocaust‹ stünde kurz bevor. Nicht zuletzt die Behauptung, die Israelis führten einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser und die Amerikaner versuchten einen Weltkrieg gegen die Muslime in Afghanistan, Irak und bald auch Iran zu entfachen, rekurriert auf diesen Wahnbegriff der ›Islamophobie‹. Inzwischen wird der Terminus in wissenschaftlichen und politischen Konferenzen allenthalben positiv aufgegriffen. Während damit die zunehmend politisierte und militarisierte Religion des Islam unter Kritikschutz gestellt wird, werden die tatsächlich gefährlichen rassistischen Ressentiments beispielsweise gegen Türken, Araber und Perser noch unterstützt, werden sie doch qua Ethnie auf eine voraufklärerische Religion und eine antidemokratische Kultur festgelegt. Das rassistische Stigma wird offen gegen die normative Kraft universaler Werte und Rechte propagiert; islamkritische Dissidenten aus islamischen Ländern, die dieses Stigma qua Biografie durchbrechen, gelten zuvörderst als Querulanten.
Gegen den Widerstand vieler jüdischer Organisationen setze Stephan J. Kramer Anfang 2006 beim »European Jewish Congress« die Forderung nach Einrichtung eines europaweiten Forschungszentrums gegen ›Diskriminierung‹ durch. Was genauer darunter zu verstehen sei, vermeldete der Tagesspiegel: »Zum ersten Mal wollen jüdische Organisationen in Europa gemeinsam mit muslimischen Partnern Antisemitismus und Islamophobie bekämpfen. Das kündigte Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland [...] an.« [8] Sekundiert wurde dieser Auftritt einige Wochen später in Berlin, als der Sekretär zusammen mit der »Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion« (DITIB) und unter Schirmherrschaft der Botschaften Israels und der Türkei zur Podiumsdiskussion zu »Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit« lud. Während der türkische Botschafter den Antisemitismus als historisches Phänomen durchaus anerkannte, konnte er zugleich ohne größeren Einspruch behaupten, dass nunmehr Ähnliches den Muslimen drohte, dass »zu Beginn des 21. Jahrhunderts [...] eine Welle der Feindseligkeit diesmal gegenüber den Muslimen zu erleben sein wird.« [9] Die paradigmatische Verklärung des türkisch-jüdischen Verhältnisses, laut DITIB-Generalsekretär Ali Y. Yildirim 500 Jahre des friedlichen Zusammenlebens, machte eine kritische Diskussion über Antisemitismus in den türkischen Communities unmöglich. So verkündete Stephan J. Kramer zufrieden wider besseren Wissens: »Juden und Muslime ziehen an einem Strang« denn die »Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen.« [10] Damit hat der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland den politischen Kampfbegriff der Teheraner Mullahs und anderer Antisemiten übernommen und mit hoffähig gemacht. Ein Kampfbegriff, der sich nicht zuletzt gegen Juden selbst richtet.
Doch in hellen Momenten ahnt auch Stephan J. Kramer, von welcher Seite die größte Bedrohung heute ausgeht. Mit Blick auf den letzten Libanon-Krieg verteidigte er Israel noch gegen die Kritik, unverhältnismäßig zu reagieren: »Wir Juden haben das Recht, uns zu verteidigen, und dies wird uns auch niemand nehmen.« [11] Bezüglich des Irans bezeichnete er die Haltung der Bundesregierung als »zu weich«. Israels Existenzrecht »wird gegen den Iran verteidigt und nicht im Südlibanon«, warnte er. »Die Folge ist, dass Teheran mit dem Westen Katz und Maus spielt«. Besser sei es, so Stephan J. Kramer, alle Optionen offen zu halten, von Wirtschaftssanktionen bis zum militärischen Eingreifen [12].
Dass es sich hier nur um wohlfeile, praktisch zu vernachlässigende Äußerungen handelt, macht der Sekretär des Zentralrats aber heute klar, denn nun positioniert er sich deutlich gegen eine Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr des Iran. Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete er in seinem Schreiben an die Organisatoren schlicht als »idiotisch«; eine solche Demonstration sei nichts anderes als »lächerlich«. Genau damit formuliert er die Position des gemeindeutschen Stammtisches, ob er nun im linken Hamburger Schanzenviertel, in einem islamischen »Kulturzentrum« in Berlin-Neukölln oder in »Biene´s Buletten-Bude« im ostzonalen Eisenhüttenstadt steht. Der Zentralrat verharrt in Passivität – ob während des Libanon-Krieges oder während der Teheraner Holocaustleugner- und Holocaustbefürworter-Konferenz. Über harmlose Statements für den vorhersehbaren Mediendiskurs hinausgehend werden keine ernsthaften Anstrengungen gezeigt. Damit steht Stephan J. Kramers Zentralrat nicht allein: Immer dann, wenn es gilt, halten sich auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft, das American Jewish Committee und ähnliche ›Freunde‹ Israels auffällig zurück. Dies machte der Sekretär gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: »Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten […] es gibt bestimmte politische Spielregeln.« Welche Spielregeln dies allerdings sind, muss der Sekretär nicht mehr erklären.
Im Schreiben Stephan J. Kramers heißt es: »Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.« Und damit hat er, Bezug nehmend auf die geplante ›Massendemonstration‹, aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Demonstrationen gegen den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen. Die Demonstration wird wahrlich keine Massendemonstration, und es bleibt weiter den wenigen Naiven überlassen, sich öffentlich gegen die Vernichtungsdrohungen des Iran zu stellen.
Es sind tatsächlich Naive, wenn sie bei »I like Israel« der Meinung sind, der jüdische Staat habe vor allem ein Marketing-Problem; mit blauweißen Wimpelchen und hinreichend Werbung für die weißen Strände Tel Avivs und die süßen Orangen aus Jaffa wären hierzulande politische Diskurse zu beeinflussen, wären gar antisemitische und antiisraelische Ressentiments aufzubrechen. Auch in der Botschaft des Staates Israel in Berlin bemüht man sich intensiv um eine ähnliche Entpolitisierung der Israel-Unterstützung. Was sich ›Hasbara‹ nennt, ist de facto die Angst vor der politischen Auseinandersetzung.
Und es sind auch Naive, wenn sie bei »Honestly Concerned« täglich die Strichliste der antisemitischen und antiisraelischen Ausfälle führen, und immer wieder den neuesten ›Skandal‹ ausrufen, ohne auch nur im Mindesten zu verstehen, warum die Ausfälle schon längst nicht mehr zum Skandal taugen, warum Antisemitismus und Antizionismus längst schon nicht mehr skandalisierbar sind. Auch ist es dringend geboten, politische Dummheiten zu benennen: Ausgerechnet die neofaschistische Junge Freiheit wusste kürzlich zu vermelden, Stawski bekenne »freimütig«, für seine Organisation und die bevorstehende Eröffnung eines Berliner Büros »US-Gelder« zu erhalten [13]. Es scheint, Herr Stawski verbreitet sich unnötig vor den Falschen. Dass dem Eitlen, der sich trotz mangelnder Kompetenzen lange als Big Shot zu inszenieren suchte, nun mit Stephan J. Kramer ein Mächtigerer gleichen Schlages entgegentritt, kann dennoch nicht erfreuen.
Denn: Auch wenn diese Demonstration am 28. Januar ganz sicher keine ›Großdemonstration‹ wird, auch wenn die Organisationen und Institutionen des Establishments von Zentralrat bis DIG wieder einmal zeigen, dass sie es vorziehen, sich nicht zu zeigen, auch wenn die politische Aussage der Demonstration mitnichten vor analytischer Schärfe glänzt, und auch wenn eine solche Demonstration wie nebenbei private Eitelkeiten zu befriedigen hilft: Wenigstes wird es ein notwendiges Zeichen gegen den antisemitischen Mainstream sein, besser jedenfalls als fortwährende Lethargie.
Leo Sucharewicz, der Kopf von ILI, spricht angesichts des Verhaltens des Generalsekretärs des Zentralrats von »Destruktion« und »politischer Intrige«. In einem offenen Brief an Stephan J. Kramer wirft er ihm vor: »Mit einer intensiven Telefon- und Emailaktion versuchen Sie seit Tagen, die geplante Großdemonstration gegen Ahmadinedjad am 28. Januar in Berlin zu verhindern.« Wenn dies stimmt, muss sich der Zentralrat zu dieser Entgleisung positionieren.
Doch das dürfte schwer werden: Schon mehrfach hat der Sekretär Stephan J. Kramer öffentlich seine Präsidentin, Charlotte Knobloch, denunziert, ohne dass diese ihren Angestellten in die Schranken wies. So warf er ihr jüngst im Tagesspiegel überzogenen Alarmismus vor: »Wenn man fünf Mal die Feuerwehr ruft, weil man eine Kerze angezündet hat, kommt sie beim sechsten Mal nicht, dann, wenn es wirklich ernst ist. Darüber bin ich beunruhigt.« [14] Zuvor schon hatte er Frau Knoblochs Pläne zur Überarbeitung der Holocaust-Erziehung in den Schulen in omnipotenter Rhetorik verworfen: »Wenn man neu ist, muss man sich erst einmal warmlaufen. Da geht einem manchmal etwas durch.« [15] Selbst wenn seine Kritik im konkreten Falle berechtigt sein mag: Im Tonfall wird deutlich, wer im Zentralrat die politische Richtlinienkompetenz de facto für sich beansprucht. Die Präsidentin ist es offensichtlich nicht.
Eines ist aber bei der gesamten Debatte nicht außer Acht zu lassen: Dass es in Deutschland heute immer noch äußerst selten ist, dass über höchst diplomatische Verhaltensweisen hinausgehend Vertreter großer jüdischer Organisationen sich parteilich, prononciert und kritisch verhalten, ja dass diese vielmehr selbst versuchen, zu deutliche und als ›konfrontativ‹ und ergo ›kontraproduktiv‹ denunzierte antisemitismuskritische und proisraelische Positionen zu unterbinden, ist nicht allein das Problem einzelner Handelnder. Es ist auch nicht zuvörderst ein strukturelles Problem jüdischer Organisationen. Vielmehr existiert immer noch die unbändige Angst, durch zu entschiedenes Auftreten den Antisemitismus, den man unbewusst stärker wahrnimmt, als es das eigene Bewusstsein zu ertragen vermag, so sehr zu provozieren, dass er von seiner notdürftig zivilisierten in seine militante Form umschlägt. Diese Angst ist berechtigt und unberechtigt zugleich. Berechtigt, weil unfreiwillig die deutsche Normalität, mithin der wie auch immer wandelbare und codierbare Antisemitismus, eingestanden wird. Unberechtigt, weil nicht irgendein ›jüdisches Verhalten‹ über die konkrete Form des einem Juden entgegenschlagenden Hasses entscheidet. Darüber bestimmt allein der Antisemit in seinem Wahn, allenfalls noch durch diskursive, legislative und exekutive Gewalten gehemmt.
Genau darum aber ist die Demonstration Ende Januar 2007 von so großer innerdeutscher Bedeutung: Dann nämlich, wenn viele Juden diese Angst überwinden. Entscheidender aber ist, wenn nichtjüdische Deutsche ihnen diese Angst nehmen. Dies geschieht, wenn ein paar Tausend Juden innerhalb einer Pro-Israel-Demonstration einmal das sind, was sie sonst doch auch sind: nur eine kleine Minderheit.
[1] Deutsche Übersetzung: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/berzeugungstter.html
[2] Zitiert nach: http://www.doew.at/frames.php?/projekte/rechts/chronik/2006_12/teheran.html
[3] Karl Pfeifer: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/mehr-als-nur-ein-kronzeuge.html
[4] Theodor W. Adorno: »Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit« (GS 10.2, 556)
[5] http://www.jugendkampagne.de
[6] http://www.halepaghen-schule.de/SR/SOR_SMC_Kramer-Vortrag_VHS.htm
[7] http://www.jugendkampagne.de
[8] Tagesspiegel, 25. März 2006
[9] Zitiert nach: Arie Moscovici: »Noch nicht gänzlich überwunden. Der Zentralrat der Juden hat sich auf eine gefährliche Islamophobie-Debatte eingelassen.« in: Jüdische Zeitung, Nr. 6 (10), Juni 2006
[10] http://www.zentralratdjuden.de/de/article/959.html
[11] Leo Mauss: »Israel bleibt der Knackpunkt. Eindrücke von der Fachtagung Antisemitismus in Mannheim« in: Jüdische Zeitung, Nr. 8 (12), August 2006
[12] Chemnitzer Freie Presse, 23. September 2006
[13] Junge Freiheit, 36/2006
[14] Tagesspiegel, 9. November 2006
[15] Stephan J. Kramer auf einer Antisemitismus-Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mannheim, 14. Juli 2006
Das iranische Mullah-Regime hat alles daran gesetzt, im Jahr 2006 eine »Welt ohne Zionismus« ideologisch wie militärisch vorzubereiten. Die Doppelstrategie der im Dezember in Teheran durchgeführten »Holocaust-Konferenz« ging auf: Entweder es gab keinen Holocaust, wie es vor allem die neonazistische Fraktion der Konferenzgäste behauptete, dann hat Israel als Zufluchtsort verfolgter Juden historisch keine Existenzberechtigung. Oder aber es gab den Holocaust sehr wohl, wie dies stellvertretend einige Extremisten der ultra-orthodoxen jüdischen Sekte Neturei Karta dem iranischen Präsidenten versicherten, dann war der Holocaust die gerechte Strafe Gottes für den Zionismus. Die »Orthodoxen Juden vereint gegen Zionismus«, wie sie sich selbst nennen, oder »Juden für Ahmadinedjad«, wie sie Alan Dershowitz jüngst in der Jerusalem Post zutreffend titulierte [1] , stellen gleichwohl die Zahl von 6 Millionen Ermordeten in Abrede. Einer der Konferenzteilnehmer, Moishe A. Friedman, der sich als »Oberrabbiner der Orthodoxen Antizionistischen Gemeinde Österreichs« ausgibt, formulierte dies auf einer deutschen Neonazi-Website so:
»In diesem Zusammenhang muss man auf die Tatsache hinweisen, dass die wahren Hintermänner, Finanziers und zum Teil Vollstrecker der Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg Zionisten waren. [...] Die Gründer des Zionismus, der eine wirklich verbrecherische Sekte ist, haben als eine ihrer ersten Aktionen eine Reise nach Deutschland unternommen, um die Judenfeindlichkeit anzuheizen. Gleichzeitig haben die Zionisten alle möglichen Maßnahmen in die Welt gesetzt, um das deutsche Volk zu provozieren, zu erniedrigen und zu boykottieren, und sie haben bei allen Weltregierungen erfolgreich gegen Deutschland Lobbyarbeit betrieben, unter anderem beim bolschewistischen Russland, aber auch in England und Amerika. [...] Das deutsche Volk hat in keiner Weise in erster Linie eine Strategie zur Vernichtung der Juden verfolgt. Es ging den Nationalsozialisten anfangs darum, die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Wirkliches Interesse an einem Genozid an den Juden hatten vielmehr die Zionisten, die hofften, dadurch die nötige Unterstützung (politischer und finanzieller Natur) für die Errichtung eines jüdischen Staates Israel zu gewinnen.« [2]
Will man es zynisch fassen, so nimmt sich gegen derlei Wahn Ahmadinedjads Spekulation beinahe moderat aus, dass, hätte es den Holocaust tatsächlich gegeben, Israel wenigstens nicht im Nahen Osten sondern in Europa hätte gegründet werden müssen. Auf die Doppelstrategie der Konferenz, zwischen den Optionen Holocaustleugnung und Holocaustbefürwortung zu changieren, und damit an jeden Antisemiten gleich welcher Art ein Angebot zu machen, hat bereits Karl Pfeifer in einem Aufsatz hingewiesen [3]. Damit wurde in Teheran auf einer ideologischen Ebene unhintergehbar klar gemacht, was militärisch in den Nuklearanlagen des Iran vorbereitet wird: nichts weniger als die ›Endlösung der Israelfrage‹.
Dieser Fortsetzung des Holocaust mit neuzeitlichen Waffen wird von den Institutionen der ›internationalen Staatengemeinschaft‹, mithin den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, kein Appeasement entgegengebracht. Eine Politik des Appeasements nämlich setzte voraus, dass aus Sorge und Angst motiviert ein Feind zu beschwichtigen versucht wird. Der Iran aber wird kaum als Feind gesehen, von Sorge und Angst um Israel kann kaum die Rede sein. Allenfalls geht es darum, durch unbedeutende Handelseinschränkungen, verbunden mit der Beteuerung, die Hand bliebe zum Dialog jederzeit ausgestreckt, den eigenen, schon lang nicht mehr selbst geglaubten Phrasen wenigstens die äußerste Spitze der Absurdität zu brechen. Die Simulation des Appeasements will kaschieren, dass man mitnichten bereit ist, den Iran von der Realisierung seiner Vernichtungsphantasien abzuhalten. Längst schon sind wesentliche Teile von UNO und EU bereit, Israel zu opfern, ja durch willentliche Apathie an der Vernichtung Israels mitzutun.
Pro-israelische Organisationen wie »I like Israel« (ILI) und »Honestly Concerned« (HC) rufen deshalb für den 28. Januar 2007 in Berlin zu einer Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr der nuklearen Ambitionen des Iran auf. Diverse jüdische und nichtjüdische Organisationen unterstützen bereits die Vorbereitungen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, machte aber in einem Schreiben an die Organisatoren unmissverständlich klar, dass von seiner Seite aus nichts zu erwarten ist: »Wir machen nicht mit und es gibt auch keine finanzielle Unterstützung.« Punktum. Dieses Statement des Sekretärs verwundert kaum; es passt zu dessen politischer Omnipotenz.
Denn der Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch wird kaum nachgesagt, in ihrem Amt besondere politische und organisatorische Stärken zu zeigen. Damit eröffnet sie ihrem Generalsekretär hinreichende Spielräume für dessen eigene Vorstellungen. Während sein autoritärer Führungsstil und sein autarkes politisches Agenda-Setting in den jüdischen Gemeinden auf immer deutlichere Kritik treffen, scheint sich im Zentralrat selbst bislang kaum jemand daran zu stören. Der bundesrepublikanische Mainstream schließlich kann sich über den amtierenden Zentralrats-Sekretär erst recht nicht beschweren. Denn er zeigt sich weitgehend Deutschland-kompatibel: »Wir müssen moderne Definitionen für unsere Werte entwickeln. Begriffe wie Patriotismus oder Nationalismus dürfen nicht tabuisiert werden. Die Gefahr, dass sie von Radikalen und Extremisten missbraucht werden, ist zu groß.« Auch wenn es um den alten und neuen Judenhass geht, zeigt sich der Sekretär handzahm. In Zeiten des wachsenden, sich in gesellschaftlich-opportune »Israelkritik« transformierenden Antisemitismus pflegt Stephan J. Kramer alte Rituale und neue Verharmlosungs-Strategien.
Zu den alten Ritualen gehört die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus. Ihm werden die immergleichen Stellungsnahmen und Forderungen nach »nationalen Aktionsplänen gegen Rechts« entgegengesetzt. Dass der ›Aufstand der Anständigen‹ zwar das bundesrepublikanische Gewissen, nicht aber die ostzonalen Browntowns beruhigte, dass nicht »nationale Aktionspläne« sondern zivilisatorische Mindeststandards in den ›national befreiten Zonen‹ fehlen, scheint auch nach 16 Jahren gesamtdeutschen Rechtsextremismus´ noch nicht begriffen worden zu sein. Die historischen Analogien, mit denen Charlotte Knobloch die Verlautbarungen ihres Generalsekretärs noch übertrifft, gehen erst recht fehl. So meinte sie im Herbst 2006 mit Blick auf das Erstarken der NPD und ihrer angeschlossenen Banden: »Antisemitische und rechtsradikale Attacken haben eine Offensichtlichkeit und Aggressivität erreicht, die an die Zeit nach 1933 erinnert.« Das aber ist bei aller berechtigten Sorge grundfalsch. Die Behauptung, es drohe Gleiches oder Ähnliches wie 1933, macht es unmöglich, die neuen und modifizierten Formen des Antisemitismus heute zu erkennen, die offensichtlich anders, aber in der Konsequenz nicht weniger grauenhaft sind als die des rassistischen NS-Antisemitismus. Deshalb wies Theodor W. Adorno schon Ende der 1950er Jahre, als bereits einmal neofaschistische Parteien und Gruppierungen an Stärke gewannen, auf heute noch Gültiges hin: »Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.« [4]
Die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus und damit die Verharmlosung des linken, sich als ›Israelkritik‹ ehrbar gebenden Antisemitismus betreibt selbst ein der CDU nahe stehender Stephan J. Kramer mit. In einem Interview im Oktober 2006 auf den linken Antisemitismus angesprochen meinte er, »man muss sagen, qualitativ und quantitativ kann man das nicht gleich setzen. Da liegen Welten dazwischen. Aus dem rechten Spektrum kommt ein deutlich intensiverer und gewalttätigerer Antisemitismus.« [5] Die in der Bundesrepublik Jahrzehnte lang übliche Überbewertung des Linksextremismus und zeitgleiche Unterbewertung des Rechtsextremismus hat sich inzwischen komplett verkehrt. Gerade der linke Antisemitismus konnte sich, weil anders als der rechte Judenhass gesellschaftlich kaum sanktioniert, als legitime Position selbst in der politischen Mitte etablieren. Der Sekretär macht es den ›ehrbaren‹ Antisemiten dabei sehr leicht, betont er doch allenthalben, dass zwischen ›antiisraelisch‹ und ›antisemitisch‹ unterschieden werden müsse[6]. So stellte er sich auch offen gegen die Entscheidung seines Zentralrats, die vor Ranküne überbordenden Äußerungen der deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zum Libanon-Krieg als antisemitisch zu bezeichnen. Damit nicht genug; laut Stephan J. Kramer sei Antisemitismus stets nur »Teil eines größeren Problems, nämlich des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit«. Die Juden dürften sich als »Exklusivgruppe« nicht herausstellen und ausklammern. Damit kommt der Sekretär denen weit entgegen, die stets das Singuläre des Antisemitismus, mithin der Shoa zu leugnen trachten, die implizit den Vorwurf erheben, Juden würden den Antisemitismus politisch instrumentalisieren. Durch die Generalisierung als »Ausgrenzung von Minderheiten« kann Stephan J. Kramer nur immergleiche Mechanismen erkennen, »ob es Schwule, Lesben, Alte, Behinderte, um nur einige Beispiele zu nennen, sind.« [7] Diese begriffliche Auflösung fördert notwendig den Verlust der Möglichkeit einer jeden politischen und psychosozialen Analyse des Antisemitismus. Aus dem begrifflichen Unvermögen folgt notwendig das politische. Befördert wird ausschließlich die Verharmlosung.
Folgerichtig gehört zu den neuen Verharmlosungs-Strategien von Stephan J. Kramer auch, den antisemitischen Kampfbegriff ›Islamophobie‹ mit hoffähig zu machen. In der ›Islamophobie‹-Debatte, die ursprünglich von den Teheraner Mullahs inszeniert wurde, geht es im Kern um die Behauptung, es gäbe eine dem Antisemitismus ähnliche Bedrohung gegen Muslime; ja, die Muslime wären die Juden von heute. Muslime würden aufgrund ihrer Religion diskriminiert und verfolgt, ein antiislamischer ›Holocaust‹ stünde kurz bevor. Nicht zuletzt die Behauptung, die Israelis führten einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser und die Amerikaner versuchten einen Weltkrieg gegen die Muslime in Afghanistan, Irak und bald auch Iran zu entfachen, rekurriert auf diesen Wahnbegriff der ›Islamophobie‹. Inzwischen wird der Terminus in wissenschaftlichen und politischen Konferenzen allenthalben positiv aufgegriffen. Während damit die zunehmend politisierte und militarisierte Religion des Islam unter Kritikschutz gestellt wird, werden die tatsächlich gefährlichen rassistischen Ressentiments beispielsweise gegen Türken, Araber und Perser noch unterstützt, werden sie doch qua Ethnie auf eine voraufklärerische Religion und eine antidemokratische Kultur festgelegt. Das rassistische Stigma wird offen gegen die normative Kraft universaler Werte und Rechte propagiert; islamkritische Dissidenten aus islamischen Ländern, die dieses Stigma qua Biografie durchbrechen, gelten zuvörderst als Querulanten.
Gegen den Widerstand vieler jüdischer Organisationen setze Stephan J. Kramer Anfang 2006 beim »European Jewish Congress« die Forderung nach Einrichtung eines europaweiten Forschungszentrums gegen ›Diskriminierung‹ durch. Was genauer darunter zu verstehen sei, vermeldete der Tagesspiegel: »Zum ersten Mal wollen jüdische Organisationen in Europa gemeinsam mit muslimischen Partnern Antisemitismus und Islamophobie bekämpfen. Das kündigte Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland [...] an.« [8] Sekundiert wurde dieser Auftritt einige Wochen später in Berlin, als der Sekretär zusammen mit der »Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion« (DITIB) und unter Schirmherrschaft der Botschaften Israels und der Türkei zur Podiumsdiskussion zu »Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit« lud. Während der türkische Botschafter den Antisemitismus als historisches Phänomen durchaus anerkannte, konnte er zugleich ohne größeren Einspruch behaupten, dass nunmehr Ähnliches den Muslimen drohte, dass »zu Beginn des 21. Jahrhunderts [...] eine Welle der Feindseligkeit diesmal gegenüber den Muslimen zu erleben sein wird.« [9] Die paradigmatische Verklärung des türkisch-jüdischen Verhältnisses, laut DITIB-Generalsekretär Ali Y. Yildirim 500 Jahre des friedlichen Zusammenlebens, machte eine kritische Diskussion über Antisemitismus in den türkischen Communities unmöglich. So verkündete Stephan J. Kramer zufrieden wider besseren Wissens: »Juden und Muslime ziehen an einem Strang« denn die »Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen.« [10] Damit hat der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland den politischen Kampfbegriff der Teheraner Mullahs und anderer Antisemiten übernommen und mit hoffähig gemacht. Ein Kampfbegriff, der sich nicht zuletzt gegen Juden selbst richtet.
Doch in hellen Momenten ahnt auch Stephan J. Kramer, von welcher Seite die größte Bedrohung heute ausgeht. Mit Blick auf den letzten Libanon-Krieg verteidigte er Israel noch gegen die Kritik, unverhältnismäßig zu reagieren: »Wir Juden haben das Recht, uns zu verteidigen, und dies wird uns auch niemand nehmen.« [11] Bezüglich des Irans bezeichnete er die Haltung der Bundesregierung als »zu weich«. Israels Existenzrecht »wird gegen den Iran verteidigt und nicht im Südlibanon«, warnte er. »Die Folge ist, dass Teheran mit dem Westen Katz und Maus spielt«. Besser sei es, so Stephan J. Kramer, alle Optionen offen zu halten, von Wirtschaftssanktionen bis zum militärischen Eingreifen [12].
Dass es sich hier nur um wohlfeile, praktisch zu vernachlässigende Äußerungen handelt, macht der Sekretär des Zentralrats aber heute klar, denn nun positioniert er sich deutlich gegen eine Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr des Iran. Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete er in seinem Schreiben an die Organisatoren schlicht als »idiotisch«; eine solche Demonstration sei nichts anderes als »lächerlich«. Genau damit formuliert er die Position des gemeindeutschen Stammtisches, ob er nun im linken Hamburger Schanzenviertel, in einem islamischen »Kulturzentrum« in Berlin-Neukölln oder in »Biene´s Buletten-Bude« im ostzonalen Eisenhüttenstadt steht. Der Zentralrat verharrt in Passivität – ob während des Libanon-Krieges oder während der Teheraner Holocaustleugner- und Holocaustbefürworter-Konferenz. Über harmlose Statements für den vorhersehbaren Mediendiskurs hinausgehend werden keine ernsthaften Anstrengungen gezeigt. Damit steht Stephan J. Kramers Zentralrat nicht allein: Immer dann, wenn es gilt, halten sich auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft, das American Jewish Committee und ähnliche ›Freunde‹ Israels auffällig zurück. Dies machte der Sekretär gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: »Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten […] es gibt bestimmte politische Spielregeln.« Welche Spielregeln dies allerdings sind, muss der Sekretär nicht mehr erklären.
Im Schreiben Stephan J. Kramers heißt es: »Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.« Und damit hat er, Bezug nehmend auf die geplante ›Massendemonstration‹, aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Demonstrationen gegen den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen. Die Demonstration wird wahrlich keine Massendemonstration, und es bleibt weiter den wenigen Naiven überlassen, sich öffentlich gegen die Vernichtungsdrohungen des Iran zu stellen.
Es sind tatsächlich Naive, wenn sie bei »I like Israel« der Meinung sind, der jüdische Staat habe vor allem ein Marketing-Problem; mit blauweißen Wimpelchen und hinreichend Werbung für die weißen Strände Tel Avivs und die süßen Orangen aus Jaffa wären hierzulande politische Diskurse zu beeinflussen, wären gar antisemitische und antiisraelische Ressentiments aufzubrechen. Auch in der Botschaft des Staates Israel in Berlin bemüht man sich intensiv um eine ähnliche Entpolitisierung der Israel-Unterstützung. Was sich ›Hasbara‹ nennt, ist de facto die Angst vor der politischen Auseinandersetzung.
Und es sind auch Naive, wenn sie bei »Honestly Concerned« täglich die Strichliste der antisemitischen und antiisraelischen Ausfälle führen, und immer wieder den neuesten ›Skandal‹ ausrufen, ohne auch nur im Mindesten zu verstehen, warum die Ausfälle schon längst nicht mehr zum Skandal taugen, warum Antisemitismus und Antizionismus längst schon nicht mehr skandalisierbar sind. Auch ist es dringend geboten, politische Dummheiten zu benennen: Ausgerechnet die neofaschistische Junge Freiheit wusste kürzlich zu vermelden, Stawski bekenne »freimütig«, für seine Organisation und die bevorstehende Eröffnung eines Berliner Büros »US-Gelder« zu erhalten [13]. Es scheint, Herr Stawski verbreitet sich unnötig vor den Falschen. Dass dem Eitlen, der sich trotz mangelnder Kompetenzen lange als Big Shot zu inszenieren suchte, nun mit Stephan J. Kramer ein Mächtigerer gleichen Schlages entgegentritt, kann dennoch nicht erfreuen.
Denn: Auch wenn diese Demonstration am 28. Januar ganz sicher keine ›Großdemonstration‹ wird, auch wenn die Organisationen und Institutionen des Establishments von Zentralrat bis DIG wieder einmal zeigen, dass sie es vorziehen, sich nicht zu zeigen, auch wenn die politische Aussage der Demonstration mitnichten vor analytischer Schärfe glänzt, und auch wenn eine solche Demonstration wie nebenbei private Eitelkeiten zu befriedigen hilft: Wenigstes wird es ein notwendiges Zeichen gegen den antisemitischen Mainstream sein, besser jedenfalls als fortwährende Lethargie.
Leo Sucharewicz, der Kopf von ILI, spricht angesichts des Verhaltens des Generalsekretärs des Zentralrats von »Destruktion« und »politischer Intrige«. In einem offenen Brief an Stephan J. Kramer wirft er ihm vor: »Mit einer intensiven Telefon- und Emailaktion versuchen Sie seit Tagen, die geplante Großdemonstration gegen Ahmadinedjad am 28. Januar in Berlin zu verhindern.« Wenn dies stimmt, muss sich der Zentralrat zu dieser Entgleisung positionieren.
Doch das dürfte schwer werden: Schon mehrfach hat der Sekretär Stephan J. Kramer öffentlich seine Präsidentin, Charlotte Knobloch, denunziert, ohne dass diese ihren Angestellten in die Schranken wies. So warf er ihr jüngst im Tagesspiegel überzogenen Alarmismus vor: »Wenn man fünf Mal die Feuerwehr ruft, weil man eine Kerze angezündet hat, kommt sie beim sechsten Mal nicht, dann, wenn es wirklich ernst ist. Darüber bin ich beunruhigt.« [14] Zuvor schon hatte er Frau Knoblochs Pläne zur Überarbeitung der Holocaust-Erziehung in den Schulen in omnipotenter Rhetorik verworfen: »Wenn man neu ist, muss man sich erst einmal warmlaufen. Da geht einem manchmal etwas durch.« [15] Selbst wenn seine Kritik im konkreten Falle berechtigt sein mag: Im Tonfall wird deutlich, wer im Zentralrat die politische Richtlinienkompetenz de facto für sich beansprucht. Die Präsidentin ist es offensichtlich nicht.
Eines ist aber bei der gesamten Debatte nicht außer Acht zu lassen: Dass es in Deutschland heute immer noch äußerst selten ist, dass über höchst diplomatische Verhaltensweisen hinausgehend Vertreter großer jüdischer Organisationen sich parteilich, prononciert und kritisch verhalten, ja dass diese vielmehr selbst versuchen, zu deutliche und als ›konfrontativ‹ und ergo ›kontraproduktiv‹ denunzierte antisemitismuskritische und proisraelische Positionen zu unterbinden, ist nicht allein das Problem einzelner Handelnder. Es ist auch nicht zuvörderst ein strukturelles Problem jüdischer Organisationen. Vielmehr existiert immer noch die unbändige Angst, durch zu entschiedenes Auftreten den Antisemitismus, den man unbewusst stärker wahrnimmt, als es das eigene Bewusstsein zu ertragen vermag, so sehr zu provozieren, dass er von seiner notdürftig zivilisierten in seine militante Form umschlägt. Diese Angst ist berechtigt und unberechtigt zugleich. Berechtigt, weil unfreiwillig die deutsche Normalität, mithin der wie auch immer wandelbare und codierbare Antisemitismus, eingestanden wird. Unberechtigt, weil nicht irgendein ›jüdisches Verhalten‹ über die konkrete Form des einem Juden entgegenschlagenden Hasses entscheidet. Darüber bestimmt allein der Antisemit in seinem Wahn, allenfalls noch durch diskursive, legislative und exekutive Gewalten gehemmt.
Genau darum aber ist die Demonstration Ende Januar 2007 von so großer innerdeutscher Bedeutung: Dann nämlich, wenn viele Juden diese Angst überwinden. Entscheidender aber ist, wenn nichtjüdische Deutsche ihnen diese Angst nehmen. Dies geschieht, wenn ein paar Tausend Juden innerhalb einer Pro-Israel-Demonstration einmal das sind, was sie sonst doch auch sind: nur eine kleine Minderheit.
[1] Deutsche Übersetzung: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/berzeugungstter.html
[2] Zitiert nach: http://www.doew.at/frames.php?/projekte/rechts/chronik/2006_12/teheran.html
[3] Karl Pfeifer: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/mehr-als-nur-ein-kronzeuge.html
[4] Theodor W. Adorno: »Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit« (GS 10.2, 556)
[5] http://www.jugendkampagne.de
[6] http://www.halepaghen-schule.de/SR/SOR_SMC_Kramer-Vortrag_VHS.htm
[7] http://www.jugendkampagne.de
[8] Tagesspiegel, 25. März 2006
[9] Zitiert nach: Arie Moscovici: »Noch nicht gänzlich überwunden. Der Zentralrat der Juden hat sich auf eine gefährliche Islamophobie-Debatte eingelassen.« in: Jüdische Zeitung, Nr. 6 (10), Juni 2006
[10] http://www.zentralratdjuden.de/de/article/959.html
[11] Leo Mauss: »Israel bleibt der Knackpunkt. Eindrücke von der Fachtagung Antisemitismus in Mannheim« in: Jüdische Zeitung, Nr. 8 (12), August 2006
[12] Chemnitzer Freie Presse, 23. September 2006
[13] Junge Freiheit, 36/2006
[14] Tagesspiegel, 9. November 2006
[15] Stephan J. Kramer auf einer Antisemitismus-Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mannheim, 14. Juli 2006
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