Montag, 1. Januar 2007

Der Generalsekretär

Gegen Antisemitismus und Antizionismus offen anzutreten setzt einiges an Leidensfähigkeit voraus, in Deutschland allzumal. Diese besitzt der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, offenbar nicht. Vielmehr fährt er den Wenigen in die Parade, die sich mit dem antisemitischen Normalzustand noch nicht arrangiert haben. Immer mehr Stimmen in den jüdischen Gemeinden fordern deshalb seinen Rücktritt.

Das iranische Mullah-Regime hat alles daran gesetzt, im Jahr 2006 eine »Welt ohne Zionismus« ideologisch wie militärisch vorzubereiten. Die Doppelstrategie der im Dezember in Teheran durchgeführten »Holocaust-Konferenz« ging auf: Entweder es gab keinen Holocaust, wie es vor allem die neonazistische Fraktion der Konferenzgäste behauptete, dann hat Israel als Zufluchtsort verfolgter Juden historisch keine Existenzberechtigung. Oder aber es gab den Holocaust sehr wohl, wie dies stellvertretend einige Extremisten der ultra-orthodoxen jüdischen Sekte Neturei Karta dem iranischen Präsidenten versicherten, dann war der Holocaust die gerechte Strafe Gottes für den Zionismus. Die »Orthodoxen Juden vereint gegen Zionismus«, wie sie sich selbst nennen, oder »Juden für Ahmadinedjad«, wie sie Alan Dershowitz jüngst in der Jerusalem Post zutreffend titulierte [1] , stellen gleichwohl die Zahl von 6 Millionen Ermordeten in Abrede. Einer der Konferenzteilnehmer, Moishe A. Friedman, der sich als »Oberrabbiner der Orthodoxen Antizionistischen Gemeinde Österreichs« ausgibt, formulierte dies auf einer deutschen Neonazi-Website so:

»In diesem Zusammenhang muss man auf die Tatsache hinweisen, dass die wahren Hintermänner, Finanziers und zum Teil Vollstrecker der Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg Zionisten waren. [...] Die Gründer des Zionismus, der eine wirklich verbrecherische Sekte ist, haben als eine ihrer ersten Aktionen eine Reise nach Deutschland unternommen, um die Judenfeindlichkeit anzuheizen. Gleichzeitig haben die Zionisten alle möglichen Maßnahmen in die Welt gesetzt, um das deutsche Volk zu provozieren, zu erniedrigen und zu boykottieren, und sie haben bei allen Weltregierungen erfolgreich gegen Deutschland Lobbyarbeit betrieben, unter anderem beim bolschewistischen Russland, aber auch in England und Amerika. [...] Das deutsche Volk hat in keiner Weise in erster Linie eine Strategie zur Vernichtung der Juden verfolgt. Es ging den Nationalsozialisten anfangs darum, die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Wirkliches Interesse an einem Genozid an den Juden hatten vielmehr die Zionisten, die hofften, dadurch die nötige Unterstützung (politischer und finanzieller Natur) für die Errichtung eines jüdischen Staates Israel zu gewinnen.« [2]

Will man es zynisch fassen, so nimmt sich gegen derlei Wahn Ahmadinedjads Spekulation beinahe moderat aus, dass, hätte es den Holocaust tatsächlich gegeben, Israel wenigstens nicht im Nahen Osten sondern in Europa hätte gegründet werden müssen. Auf die Doppelstrategie der Konferenz, zwischen den Optionen Holocaustleugnung und Holocaustbefürwortung zu changieren, und damit an jeden Antisemiten gleich welcher Art ein Angebot zu machen, hat bereits Karl Pfeifer in einem Aufsatz hingewiesen [3]. Damit wurde in Teheran auf einer ideologischen Ebene unhintergehbar klar gemacht, was militärisch in den Nuklearanlagen des Iran vorbereitet wird: nichts weniger als die ›Endlösung der Israelfrage‹.

Dieser Fortsetzung des Holocaust mit neuzeitlichen Waffen wird von den Institutionen der ›internationalen Staatengemeinschaft‹, mithin den Vereinten Nationen und der Europäischen Union, kein Appeasement entgegengebracht. Eine Politik des Appeasements nämlich setzte voraus, dass aus Sorge und Angst motiviert ein Feind zu beschwichtigen versucht wird. Der Iran aber wird kaum als Feind gesehen, von Sorge und Angst um Israel kann kaum die Rede sein. Allenfalls geht es darum, durch unbedeutende Handelseinschränkungen, verbunden mit der Beteuerung, die Hand bliebe zum Dialog jederzeit ausgestreckt, den eigenen, schon lang nicht mehr selbst geglaubten Phrasen wenigstens die äußerste Spitze der Absurdität zu brechen. Die Simulation des Appeasements will kaschieren, dass man mitnichten bereit ist, den Iran von der Realisierung seiner Vernichtungsphantasien abzuhalten. Längst schon sind wesentliche Teile von UNO und EU bereit, Israel zu opfern, ja durch willentliche Apathie an der Vernichtung Israels mitzutun.

Pro-israelische Organisationen wie »I like Israel« (ILI) und »Honestly Concerned« (HC) rufen deshalb für den 28. Januar 2007 in Berlin zu einer Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr der nuklearen Ambitionen des Iran auf. Diverse jüdische und nichtjüdische Organisationen unterstützen bereits die Vorbereitungen. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, machte aber in einem Schreiben an die Organisatoren unmissverständlich klar, dass von seiner Seite aus nichts zu erwarten ist: »Wir machen nicht mit und es gibt auch keine finanzielle Unterstützung.« Punktum. Dieses Statement des Sekretärs verwundert kaum; es passt zu dessen politischer Omnipotenz.

Denn der Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch wird kaum nachgesagt, in ihrem Amt besondere politische und organisatorische Stärken zu zeigen. Damit eröffnet sie ihrem Generalsekretär hinreichende Spielräume für dessen eigene Vorstellungen. Während sein autoritärer Führungsstil und sein autarkes politisches Agenda-Setting in den jüdischen Gemeinden auf immer deutlichere Kritik treffen, scheint sich im Zentralrat selbst bislang kaum jemand daran zu stören. Der bundesrepublikanische Mainstream schließlich kann sich über den amtierenden Zentralrats-Sekretär erst recht nicht beschweren. Denn er zeigt sich weitgehend Deutschland-kompatibel: »Wir müssen moderne Definitionen für unsere Werte entwickeln. Begriffe wie Patriotismus oder Nationalismus dürfen nicht tabuisiert werden. Die Gefahr, dass sie von Radikalen und Extremisten missbraucht werden, ist zu groß.« Auch wenn es um den alten und neuen Judenhass geht, zeigt sich der Sekretär handzahm. In Zeiten des wachsenden, sich in gesellschaftlich-opportune »Israelkritik« transformierenden Antisemitismus pflegt Stephan J. Kramer alte Rituale und neue Verharmlosungs-Strategien.

Zu den alten Ritualen gehört die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus. Ihm werden die immergleichen Stellungsnahmen und Forderungen nach »nationalen Aktionsplänen gegen Rechts« entgegengesetzt. Dass der ›Aufstand der Anständigen‹ zwar das bundesrepublikanische Gewissen, nicht aber die ostzonalen Browntowns beruhigte, dass nicht »nationale Aktionspläne« sondern zivilisatorische Mindeststandards in den ›national befreiten Zonen‹ fehlen, scheint auch nach 16 Jahren gesamtdeutschen Rechtsextremismus´ noch nicht begriffen worden zu sein. Die historischen Analogien, mit denen Charlotte Knobloch die Verlautbarungen ihres Generalsekretärs noch übertrifft, gehen erst recht fehl. So meinte sie im Herbst 2006 mit Blick auf das Erstarken der NPD und ihrer angeschlossenen Banden: »Antisemitische und rechtsradikale Attacken haben eine Offensichtlichkeit und Aggressivität erreicht, die an die Zeit nach 1933 erinnert.« Das aber ist bei aller berechtigten Sorge grundfalsch. Die Behauptung, es drohe Gleiches oder Ähnliches wie 1933, macht es unmöglich, die neuen und modifizierten Formen des Antisemitismus heute zu erkennen, die offensichtlich anders, aber in der Konsequenz nicht weniger grauenhaft sind als die des rassistischen NS-Antisemitismus. Deshalb wies Theodor W. Adorno schon Ende der 1950er Jahre, als bereits einmal neofaschistische Parteien und Gruppierungen an Stärke gewannen, auf heute noch Gültiges hin: »Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.« [4]

Die starke politische Fokussierung auf den Rechtsradikalismus und damit die Verharmlosung des linken, sich als ›Israelkritik‹ ehrbar gebenden Antisemitismus betreibt selbst ein der CDU nahe stehender Stephan J. Kramer mit. In einem Interview im Oktober 2006 auf den linken Antisemitismus angesprochen meinte er, »man muss sagen, qualitativ und quantitativ kann man das nicht gleich setzen. Da liegen Welten dazwischen. Aus dem rechten Spektrum kommt ein deutlich intensiverer und gewalttätigerer Antisemitismus.« [5] Die in der Bundesrepublik Jahrzehnte lang übliche Überbewertung des Linksextremismus und zeitgleiche Unterbewertung des Rechtsextremismus hat sich inzwischen komplett verkehrt. Gerade der linke Antisemitismus konnte sich, weil anders als der rechte Judenhass gesellschaftlich kaum sanktioniert, als legitime Position selbst in der politischen Mitte etablieren. Der Sekretär macht es den ›ehrbaren‹ Antisemiten dabei sehr leicht, betont er doch allenthalben, dass zwischen ›antiisraelisch‹ und ›antisemitisch‹ unterschieden werden müsse[6]. So stellte er sich auch offen gegen die Entscheidung seines Zentralrats, die vor Ranküne überbordenden Äußerungen der deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zum Libanon-Krieg als antisemitisch zu bezeichnen. Damit nicht genug; laut Stephan J. Kramer sei Antisemitismus stets nur »Teil eines größeren Problems, nämlich des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit«. Die Juden dürften sich als »Exklusivgruppe« nicht herausstellen und ausklammern. Damit kommt der Sekretär denen weit entgegen, die stets das Singuläre des Antisemitismus, mithin der Shoa zu leugnen trachten, die implizit den Vorwurf erheben, Juden würden den Antisemitismus politisch instrumentalisieren. Durch die Generalisierung als »Ausgrenzung von Minderheiten« kann Stephan J. Kramer nur immergleiche Mechanismen erkennen, »ob es Schwule, Lesben, Alte, Behinderte, um nur einige Beispiele zu nennen, sind.« [7] Diese begriffliche Auflösung fördert notwendig den Verlust der Möglichkeit einer jeden politischen und psychosozialen Analyse des Antisemitismus. Aus dem begrifflichen Unvermögen folgt notwendig das politische. Befördert wird ausschließlich die Verharmlosung.

Folgerichtig gehört zu den neuen Verharmlosungs-Strategien von Stephan J. Kramer auch, den antisemitischen Kampfbegriff ›Islamophobie‹ mit hoffähig zu machen. In der ›Islamophobie‹-Debatte, die ursprünglich von den Teheraner Mullahs inszeniert wurde, geht es im Kern um die Behauptung, es gäbe eine dem Antisemitismus ähnliche Bedrohung gegen Muslime; ja, die Muslime wären die Juden von heute. Muslime würden aufgrund ihrer Religion diskriminiert und verfolgt, ein antiislamischer ›Holocaust‹ stünde kurz bevor. Nicht zuletzt die Behauptung, die Israelis führten einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser und die Amerikaner versuchten einen Weltkrieg gegen die Muslime in Afghanistan, Irak und bald auch Iran zu entfachen, rekurriert auf diesen Wahnbegriff der ›Islamophobie‹. Inzwischen wird der Terminus in wissenschaftlichen und politischen Konferenzen allenthalben positiv aufgegriffen. Während damit die zunehmend politisierte und militarisierte Religion des Islam unter Kritikschutz gestellt wird, werden die tatsächlich gefährlichen rassistischen Ressentiments beispielsweise gegen Türken, Araber und Perser noch unterstützt, werden sie doch qua Ethnie auf eine voraufklärerische Religion und eine antidemokratische Kultur festgelegt. Das rassistische Stigma wird offen gegen die normative Kraft universaler Werte und Rechte propagiert; islamkritische Dissidenten aus islamischen Ländern, die dieses Stigma qua Biografie durchbrechen, gelten zuvörderst als Querulanten.

Gegen den Widerstand vieler jüdischer Organisationen setze Stephan J. Kramer Anfang 2006 beim »European Jewish Congress« die Forderung nach Einrichtung eines europaweiten Forschungszentrums gegen ›Diskriminierung‹ durch. Was genauer darunter zu verstehen sei, vermeldete der Tagesspiegel: »Zum ersten Mal wollen jüdische Organisationen in Europa gemeinsam mit muslimischen Partnern Antisemitismus und Islamophobie bekämpfen. Das kündigte Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland [...] an.« [8] Sekundiert wurde dieser Auftritt einige Wochen später in Berlin, als der Sekretär zusammen mit der »Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion« (DITIB) und unter Schirmherrschaft der Botschaften Israels und der Türkei zur Podiumsdiskussion zu »Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit« lud. Während der türkische Botschafter den Antisemitismus als historisches Phänomen durchaus anerkannte, konnte er zugleich ohne größeren Einspruch behaupten, dass nunmehr Ähnliches den Muslimen drohte, dass »zu Beginn des 21. Jahrhunderts [...] eine Welle der Feindseligkeit diesmal gegenüber den Muslimen zu erleben sein wird.« [9] Die paradigmatische Verklärung des türkisch-jüdischen Verhältnisses, laut DITIB-Generalsekretär Ali Y. Yildirim 500 Jahre des friedlichen Zusammenlebens, machte eine kritische Diskussion über Antisemitismus in den türkischen Communities unmöglich. So verkündete Stephan J. Kramer zufrieden wider besseren Wissens: »Juden und Muslime ziehen an einem Strang« denn die »Ursachen von Antisemitismus und Islamophobie sind weitgehend die gleichen.« [10] Damit hat der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland den politischen Kampfbegriff der Teheraner Mullahs und anderer Antisemiten übernommen und mit hoffähig gemacht. Ein Kampfbegriff, der sich nicht zuletzt gegen Juden selbst richtet.

Doch in hellen Momenten ahnt auch Stephan J. Kramer, von welcher Seite die größte Bedrohung heute ausgeht. Mit Blick auf den letzten Libanon-Krieg verteidigte er Israel noch gegen die Kritik, unverhältnismäßig zu reagieren: »Wir Juden haben das Recht, uns zu verteidigen, und dies wird uns auch niemand nehmen.« [11] Bezüglich des Irans bezeichnete er die Haltung der Bundesregierung als »zu weich«. Israels Existenzrecht »wird gegen den Iran verteidigt und nicht im Südlibanon«, warnte er. »Die Folge ist, dass Teheran mit dem Westen Katz und Maus spielt«. Besser sei es, so Stephan J. Kramer, alle Optionen offen zu halten, von Wirtschaftssanktionen bis zum militärischen Eingreifen [12].

Dass es sich hier nur um wohlfeile, praktisch zu vernachlässigende Äußerungen handelt, macht der Sekretär des Zentralrats aber heute klar, denn nun positioniert er sich deutlich gegen eine Demonstration zur Unterstützung Israels und zur Abwehr des Iran. Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete er in seinem Schreiben an die Organisatoren schlicht als »idiotisch«; eine solche Demonstration sei nichts anderes als »lächerlich«. Genau damit formuliert er die Position des gemeindeutschen Stammtisches, ob er nun im linken Hamburger Schanzenviertel, in einem islamischen »Kulturzentrum« in Berlin-Neukölln oder in »Biene´s Buletten-Bude« im ostzonalen Eisenhüttenstadt steht. Der Zentralrat verharrt in Passivität – ob während des Libanon-Krieges oder während der Teheraner Holocaustleugner- und Holocaustbefürworter-Konferenz. Über harmlose Statements für den vorhersehbaren Mediendiskurs hinausgehend werden keine ernsthaften Anstrengungen gezeigt. Damit steht Stephan J. Kramers Zentralrat nicht allein: Immer dann, wenn es gilt, halten sich auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft, das American Jewish Committee und ähnliche ›Freunde‹ Israels auffällig zurück. Dies machte der Sekretär gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: »Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten […] es gibt bestimmte politische Spielregeln.« Welche Spielregeln dies allerdings sind, muss der Sekretär nicht mehr erklären.

Im Schreiben Stephan J. Kramers heißt es: »Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.« Und damit hat er, Bezug nehmend auf die geplante ›Massendemonstration‹, aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Demonstrationen gegen den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen. Die Demonstration wird wahrlich keine Massendemonstration, und es bleibt weiter den wenigen Naiven überlassen, sich öffentlich gegen die Vernichtungsdrohungen des Iran zu stellen.

Es sind tatsächlich Naive, wenn sie bei »I like Israel« der Meinung sind, der jüdische Staat habe vor allem ein Marketing-Problem; mit blauweißen Wimpelchen und hinreichend Werbung für die weißen Strände Tel Avivs und die süßen Orangen aus Jaffa wären hierzulande politische Diskurse zu beeinflussen, wären gar antisemitische und antiisraelische Ressentiments aufzubrechen. Auch in der Botschaft des Staates Israel in Berlin bemüht man sich intensiv um eine ähnliche Entpolitisierung der Israel-Unterstützung. Was sich ›Hasbara‹ nennt, ist de facto die Angst vor der politischen Auseinandersetzung.

Und es sind auch Naive, wenn sie bei »Honestly Concerned« täglich die Strichliste der antisemitischen und antiisraelischen Ausfälle führen, und immer wieder den neuesten ›Skandal‹ ausrufen, ohne auch nur im Mindesten zu verstehen, warum die Ausfälle schon längst nicht mehr zum Skandal taugen, warum Antisemitismus und Antizionismus längst schon nicht mehr skandalisierbar sind. Auch ist es dringend geboten, politische Dummheiten zu benennen: Ausgerechnet die neofaschistische Junge Freiheit wusste kürzlich zu vermelden, Stawski bekenne »freimütig«, für seine Organisation und die bevorstehende Eröffnung eines Berliner Büros »US-Gelder« zu erhalten [13]. Es scheint, Herr Stawski verbreitet sich unnötig vor den Falschen. Dass dem Eitlen, der sich trotz mangelnder Kompetenzen lange als Big Shot zu inszenieren suchte, nun mit Stephan J. Kramer ein Mächtigerer gleichen Schlages entgegentritt, kann dennoch nicht erfreuen.

Denn: Auch wenn diese Demonstration am 28. Januar ganz sicher keine ›Großdemonstration‹ wird, auch wenn die Organisationen und Institutionen des Establishments von Zentralrat bis DIG wieder einmal zeigen, dass sie es vorziehen, sich nicht zu zeigen, auch wenn die politische Aussage der Demonstration mitnichten vor analytischer Schärfe glänzt, und auch wenn eine solche Demonstration wie nebenbei private Eitelkeiten zu befriedigen hilft: Wenigstes wird es ein notwendiges Zeichen gegen den antisemitischen Mainstream sein, besser jedenfalls als fortwährende Lethargie.

Leo Sucharewicz, der Kopf von ILI, spricht angesichts des Verhaltens des Generalsekretärs des Zentralrats von »Destruktion« und »politischer Intrige«. In einem offenen Brief an Stephan J. Kramer wirft er ihm vor: »Mit einer intensiven Telefon- und Emailaktion versuchen Sie seit Tagen, die geplante Großdemonstration gegen Ahmadinedjad am 28. Januar in Berlin zu verhindern.« Wenn dies stimmt, muss sich der Zentralrat zu dieser Entgleisung positionieren.

Doch das dürfte schwer werden: Schon mehrfach hat der Sekretär Stephan J. Kramer öffentlich seine Präsidentin, Charlotte Knobloch, denunziert, ohne dass diese ihren Angestellten in die Schranken wies. So warf er ihr jüngst im Tagesspiegel überzogenen Alarmismus vor: »Wenn man fünf Mal die Feuerwehr ruft, weil man eine Kerze angezündet hat, kommt sie beim sechsten Mal nicht, dann, wenn es wirklich ernst ist. Darüber bin ich beunruhigt.« [14] Zuvor schon hatte er Frau Knoblochs Pläne zur Überarbeitung der Holocaust-Erziehung in den Schulen in omnipotenter Rhetorik verworfen: »Wenn man neu ist, muss man sich erst einmal warmlaufen. Da geht einem manchmal etwas durch.« [15] Selbst wenn seine Kritik im konkreten Falle berechtigt sein mag: Im Tonfall wird deutlich, wer im Zentralrat die politische Richtlinienkompetenz de facto für sich beansprucht. Die Präsidentin ist es offensichtlich nicht.

Eines ist aber bei der gesamten Debatte nicht außer Acht zu lassen: Dass es in Deutschland heute immer noch äußerst selten ist, dass über höchst diplomatische Verhaltensweisen hinausgehend Vertreter großer jüdischer Organisationen sich parteilich, prononciert und kritisch verhalten, ja dass diese vielmehr selbst versuchen, zu deutliche und als ›konfrontativ‹ und ergo ›kontraproduktiv‹ denunzierte antisemitismuskritische und proisraelische Positionen zu unterbinden, ist nicht allein das Problem einzelner Handelnder. Es ist auch nicht zuvörderst ein strukturelles Problem jüdischer Organisationen. Vielmehr existiert immer noch die unbändige Angst, durch zu entschiedenes Auftreten den Antisemitismus, den man unbewusst stärker wahrnimmt, als es das eigene Bewusstsein zu ertragen vermag, so sehr zu provozieren, dass er von seiner notdürftig zivilisierten in seine militante Form umschlägt. Diese Angst ist berechtigt und unberechtigt zugleich. Berechtigt, weil unfreiwillig die deutsche Normalität, mithin der wie auch immer wandelbare und codierbare Antisemitismus, eingestanden wird. Unberechtigt, weil nicht irgendein ›jüdisches Verhalten‹ über die konkrete Form des einem Juden entgegenschlagenden Hasses entscheidet. Darüber bestimmt allein der Antisemit in seinem Wahn, allenfalls noch durch diskursive, legislative und exekutive Gewalten gehemmt.

Genau darum aber ist die Demonstration Ende Januar 2007 von so großer innerdeutscher Bedeutung: Dann nämlich, wenn viele Juden diese Angst überwinden. Entscheidender aber ist, wenn nichtjüdische Deutsche ihnen diese Angst nehmen. Dies geschieht, wenn ein paar Tausend Juden innerhalb einer Pro-Israel-Demonstration einmal das sind, was sie sonst doch auch sind: nur eine kleine Minderheit.


[1] Deutsche Übersetzung: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/berzeugungstter.html

[2] Zitiert nach: http://www.doew.at/frames.php?/projekte/rechts/chronik/2006_12/teheran.html

[3] Karl Pfeifer: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/12/mehr-als-nur-ein-kronzeuge.html

[4] Theodor W. Adorno: »Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit« (GS 10.2, 556)

[5] http://www.jugendkampagne.de

[6] http://www.halepaghen-schule.de/SR/SOR_SMC_Kramer-Vortrag_VHS.htm

[7]
http://www.jugendkampagne.de

[8] Tagesspiegel, 25. März 2006

[9] Zitiert nach: Arie Moscovici: »Noch nicht gänzlich überwunden. Der Zentralrat der Juden hat sich auf eine gefährliche Islamophobie-Debatte eingelassen.« in: Jüdische Zeitung, Nr. 6 (10), Juni 2006

[10] http://www.zentralratdjuden.de/de/article/959.html

[11] Leo Mauss: »Israel bleibt der Knackpunkt. Eindrücke von der Fachtagung Antisemitismus in Mannheim« in: Jüdische Zeitung, Nr. 8 (12), August 2006

[12] Chemnitzer Freie Presse, 23. September 2006

[13] Junge Freiheit, 36/2006

[14] Tagesspiegel, 9. November 2006

[15] Stephan J. Kramer auf einer Antisemitismus-Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mannheim, 14. Juli 2006

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