In der Internationalen Politik (IP), dem Zentralorgan der deutschen Außenpolitikberatung, wird neuerdings eine Lanze für die »Israelkritik« gebrochen. Der Jargon ist dabei der des ordinären Antizionismus. Doch glaubt man wohl den Vorwurf des »ehrbaren Antisemitismus« (Jean Améry) abwehren zu können, überlässt man die Ausfälle gegen Israel doch einem qua jüdischer Herkunft vermeintlich davor Gefeiten.
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) [1] steht als außenpolitischer Think Tank für den politischen Mainstream Deutschlands; gefördert
von mehr als sechzig Unternehmen und Stiftungen agieren hier als Mitglieder der ehrenwerten Gesellschaft namhafte Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien und Industrie: von Hans-Dietrich Genscher über Friedbert Pflüger bis Herta Däubler-Gmelin, vom Günther Nonnenmacher (FAZ) über August Winkler (Humboldt-Universität Berlin) bis Volker Perthes (Stiftung Wissenschaft und Politik). Aufgrund dieses Profils und Personals hat es doch einige Relevanz, wenn mit dem Duktus des Tabubruchs in der Internationalen Politik (IP), dem monatlichen Verlautbarungsorgan dieser Politikberatungsagentur, ein ressentimentgeladener, gegen Israel gerichteter Text veröffentlich wird.
»Warum ich Israel kritisiere« ist der Artikel des 82-jährigen Politikwissenschaftlers Alfred Grosser in der jüngsten Ausgabe der IP betitelt [2]. Versteht man, darin dem Direktor des Jerusalemer Shalem Center, Natan Sharansky, folgend, die Dämonisierung und Delegitimierung Israels sowie die bei der Bewertung des Nahostkonfliktes in Anschlag gebrachten doppelten Standards gegen den jüdischen Staat eben nicht mehr als legitime Kritik, sondern als antisemitisch, so muss dieses Attribut auch auf Grossers Text in der IP angewandt werden.
Dabei ist nichts an seinem Elaborat wirklich neu: In Anlehnung an Martin Walser spricht er von einer »Keule über den Köpfen«. Denn ein Deutscher liefe heute gleich Gefahr, als antisemitisch tituliert zu werden, wenn er nur »auf das schlimme Los der Einwohner von Gaza, von Westjordanien oder von Ostjerusalem hinweist.« Halluziniert wird wie schon beim deutschen Dichterdenker Walser eine ominöse Macht, die qua ›Auschwitzkeule‹ deutschen Schädeln arge Blessuren zuzufügen vermag, und dies nur weil gewagt wird, das Elend in den palästinensischen Gebieten zu benennen. Doch diese Benennung ist ganz richtig, bezieht sie sich doch auf etwas Objektives; allein die unbedingte Zuweisung der Verantwortung an Israel ist das Problem. So schreibt jüngst Einat Wilf, ehemalige außenpolitische Beraterin von Israels Vize-Premier Shimon Peres, dass die Palästinenser selbst an ihrem Elend schuld seien [3] und unterstreicht sehr wohl die elende Lage der Araber in den Palästinensergebieten. Doch erklärt sie auch:
»Es gibt kein äußeres Hindernis, das Araber und Muslime davon abhält, Freiheit, Wohlstand und intellektuellen Fortschritt zu erreichen. Palästinenser, Araber und Muslime haben absolut keinen Grund, anderen für ihren bedauernswerten Zustand Vorwürfe zu machen. Sie haben alle Werkzeuge in Reichweite, die man zum Regieren, für Wirtschaft und Kultur braucht. Dass sie sich dafür entscheiden, sie nicht zu benutzen, haben sie sich selbst zuzuschreiben. Menschen und Nationen, die Ausreden für ihr Verhalten suchen, haben keine Absicht, dieses zu ändern. Sie suchen bloß Wege, es zu rechtfertigen und den Veränderungsdruck abzuwehren. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist eine besonders gute Ausrede, da der Westen sie zu akzeptieren scheint.«
Grosser dagegen behauptet, nur »Israelkritiker« würden – und dies sei dann Ausweis besonderer Menschlichkeit – das Leiden anderer anerkennen, und verschweigt dabei absichtsvoll, dass das Leiden der Araber in den palästinensischen Gebieten begründet ist im Leiden an sich selbst, an der eigenen politischen und ideologischen Verfasstheit, am eigenen Regime der terroristischen Banden. Bei Grosser wird jedoch alle Schuld auf die Zionisten projiziert. Und weil seine ›Israelkritik‹ eben so vorgeblich ›menschlich‹ auftritt, will sie – das ist der rhetorische Trick – all jene als besonders unmenschlich brandmarken, die seiner Ranküne gegen Israel nicht zu folgen bereit sind.
Dies nun verweist auf einen besonderen Schwerpunkt in Grossers politischer Agenda, nämlich auf die Behauptung, gerade Juden müssten besonders human sein, haben sie doch selbst Inhumanität erlitten: »Ich bin als Judenkind in der Frankfurter Schule verachtet und sogar geschlagen worden. Ich kann nicht verstehen, dass Juden andere verachten.« Das ist in der Allgemeinheit der Schlussfolgerung so simpel wie falsch: Niemand wird es beispielsweise einem Judenkind Anfang der 1930er Jahre verdenken können, verachtete es die antisemitischen Schläger an seiner Schule. In Grossers Unlogik sind schon die doppelten Standards angelegt, rekurriert er dabei doch auf den unsäglichen Topos von »Auschwitz als Besserungsanstalt«, erwartet er doch von Juden anderes und mehr als von anderen. Weil aber laut Grosser die zionistischen Juden eben nicht diesem Humanismus folgen würden, schlägt seine Forderung nach einer besonderen jüdischen Moral in ein antiisraelisches Ressentiment um: Israel als jüdischer Staat habe kein »echtes Mitgefühl« für das Leiden anderer, darum liege auch allein bei Israel die Verantwortung für die Lösung des Nahostkonflikts; Grosser folgert: »Die Lösung kann nur kommen, wenn die israelischen Behörden endlich echtes Mitgefühl für das Leiden in Gaza und in den ›Gebieten‹ zeigen.« Da Israel aber angeblich eine solche Lösung verweigert, wird der jüdische Staat als hart und unmenschlich dämonisiert und stigmatisiert; Grosser begründet dies dann in seiner Rede von Israels »Kriegsverbrechen«, von »unbarmherziger Politik«, der »Mauer«, den illegalen und illegitimen »gezielten Tötungen« von Terroristen.
Was von den Israelis abverlangt wird, nämlich das Leiden der anderen Seite anzuerkennen, soll den Arabern nicht zugemutet werden, denn so »kann man von keinem jungen Palästinenser verlangen, die Opfer der schrecklichen Attentate zu beklagen, wenn das Leiden der Seinen ignoriert wird.« Und wieder ist Israel verantwortlich; nicht einmal das Mindeste, dass nämlich auch Araber die mörderischen Anschläge gegen Israelis verurteilen, wird eingefordert. Damit denunziert sich Grossers vorgeblich ungeteilter Humanismus selbst als unmenschlich, als rein funktional gegen Israel gerichtet. Wenn er »gegen die Selbstbezogenheit, gegen die Moral der nur der eigenen Gemeinschaft geltenden Solidarität« wettert, so meint er ausdrücklich nicht die Araber, sondern die Juden.
Grosser macht sich die Positionen der Araber ganz zu eigen, wenn er in ihrem Namen fragt: »Warum sollen wir harte Konsequenzen für Auschwitz tragen?« Das ist, auch bei zurückhaltender Bewertung, nicht weit von der Rhetorik von Arafat bis Ahmadinedjad entfernt, wird doch mit der Frage »warum wir?« schon das Falsche vorausgesetzt, dass nämlich die Araber Leidtragende von Auschwitz seien. Implizit wird damit die Gründung des Staates Israel als die angeblich falsche Konsequenz aus der Shoa in Frage gestellt, wird dieser Staat als jüdischer Staat delegitimiert. Grossers Parteinahme für die arabische Frage: »Warum dürfen unsere Flüchtlinge und Vertriebene [sic!] nicht zurückkehren, wenn doch die Juden sich auf den Anspruch berufen, nach zwei Jahrtausenden zurückzukehren?« ist zugleich eine Parteinahme für die arabische Lösung, die ein Ende des jüdischen Staates bedeuten würde, zumal Grosser die Politik, »Israel für alle Juden der Welt offen zu halten« grundsätzlich in Frage stellt.
Der ultimative Vorwurf der Antizionisten aber ist, dass Israel sich ähnlich dem Naziregime verhalte. Die Behauptung einer solchen Analogie wird deshalb selbst von den zurückhaltendsten Politikwissenschaftlern als antisemitisch bezeichnet; und auch hier lässt Grosser nichts aus. Er erinnert: »...in Nürnberg galt als Kriegsverbrechen ›mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern [sic!] oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung‹.« Und genau solche Verbrechen habe die israelische Armee nun in Gaza und im Libanon begangen. Der Hinweis auf Den Haag reicht Grosser längst nicht aus, es muss die Parallelenziehung zu Nürnberg und damit zu den Verbrechen der Nazis sein, um Israel final zu dämonisieren.
Und ein solcher Artikel, der kein Klischee des modernen, als »Israelkritik« sich gebärdenden Antisemitismus auslässt, erscheint in Deutschlands wichtigster außenpolitischer Zeitschrift. Er wäre, abgedruckt in der Jungen Freiheit oder in den Organen des linken Antiimperialismus, gemeinhin als das bezeichnet worden, was er ist: ein israelfeindliches Machwerk. Doch derartige Positionen sind längst auch im politischen Mainstream verankert, und dort gibt es per definitionem keine Antisemiten, nur »Kritiker« und andere »Freunde« Israels. Das Spiel ist bekannt: Man überlässt es zunächst einem leidlich prominenten antizionistischen Juden, das vermeintliche Tabu der »Israelkritik« zu brechen, so als ob ein Alfred Grosser qua Herkunft nicht in der Lage wäre Unsinn – auch antisemitischen Unsinn – zu schreiben. Dann wähnt man sich mittels eines solchen publizistischen Stahlhelms gegen die »Keule über den Köpfen« abgesichert und glaubt, sich in der eigenen »Israelkrtitik« stets auf den jüdischen Kronzeugen berufen zu können.
Grosser ahnt wenigstens etwas von seiner Rolle: »Es ist schon ein Zeichen, dass man sich bei einem solchen Thema ausweisen muss. Ich lege aber sowieso Wert darauf, die biographischen Grundlagen meiner harten Beurteilung der Politik Israels zu zeigen. Ich bin am 1. Februar 1925 in Frankfurt geboren. Beide Eltern und die vier Großeltern waren Juden...« Grosser also nimmt die angebliche Notwendigkeit, sich bei der »harten Beurteilung der Politik Israels« als jüdisch ausweisen zu müssen, noch als Beleg für das vermeintliche Tabu der »Israelkritik«. Dabei ist es doch allenfalls Ausweis der (längst schwindenden) Verklemmtheit der deutschen Antizionisten, die sich des jüdischen Vorreiters nur bedienen, bis die Diskursgrenzen hinreichend ausgeweitet sind, bis es qua Kosherstempel gänzlich legitim geworden ist, auch im politischen Mainstream die wildeste Ranküne gegen Israel zu pflegen.
Die Sehnsucht nach diesem Kosherstempel scheint blind zu machen. So nimmt man, um den Israelhass aus berufener weil jüdischer Feder ins Blatt zu bekommen, in der IP einige Wirrsal in Kauf: Grosser nämlich schreibt: »Im August 1944 hörte ich BBC in Marseille, wo ich mit falschem Ausweis lebte und erfuhr, dass die ehemaligen Insassen des KZ Theresienstadt nach Auschwitz transportiert worden waren – unter ihnen wahrscheinlich die Schwester meines Vaters und ihr Gatte. Am nächsten Morgen war ich sicher, dass es keine Kollektivschuld gibt.« Es bleibt ganz unvermittelt, wie dem jungen Grosser ausgerechnet in solchen Momenten solche Einsichten kamen; die Botschaft aber, dass es keine Kollektivschuld gäbe, »seien die Henker noch so zahlreich und die Verbrechen noch so maßlos«, sie wird gern angenommen. Auch mit dem Satzbau nimmt man es nicht so genau, Hauptsache ist, die Botschaft stimmt: »Gerade weil so viele Deutsche damals nicht feige waren, darf ein heutiger Deutscher die Gefahr laufen, als Antisemit zu gelten...«
Das Problem ist nicht, dass ein älterer Herr groben Unfug redet oder schreibt, das kommt immer einmal vor. Es wirft aber ein Schlaglicht auf den Zustand des politischen Mainstreams in Deutschland, wenn jemand wie Alfred Grosser ohne größere Interventionen ordinär antizionistische Positionen bei Bundestagsausschüssen gegen Antisemitismus (November 2004) oder in arrivierten Publikationen wie der IP (Februar 2007) vorbringen kann. Bei einem einigermaßen aufgeklärten Begriff von Kritik kann hier nämlich nicht von Israelkritik, allenfalls von Israelhass die Rede sein; bei einem halbwegs validen Begriff des modernen Antisemitismus wird auch einem Grosser zum Vorwurf gemacht werden dürfen, dass er Israel dämonisiert, delegitimiert und mit doppelten Standard misst. Dergleichen »Israelkritik«, die leicht als antisemitisch zu dechiffrieren ist, ist längst schon eine legitime Position der öffentlichen Debatte; Grossers Text ist nur der immer unnötigere Versuch, sich im politischen Mainstream durch jüdische Kronzeugen abzusichern.
Wenn jemand dagegen anschreibt, muss er sich einiges gefallen lassen: »Henryk M. Broder brandmarkt ständig alle und jeden, die sich um das Leiden der Anderen sorgen. Als Jude fühle ich mich verpflichtet, dieses Leid nicht zu ignorieren« [4], so lässt man Alfred Grosser jüngst in der Berliner tageszeitung gegen die Verleihung des Börne-Preises an Broder zu Felde ziehen. »Broder dagegen bekämpft, im Einklang mit fanatisch pro-israelischen Internetseiten wie ›Honestly Concerned‹, so aggressiv wie möglich alle, die nicht so denken und handeln wie er.« So also wütet Grosser, spricht gar von einer »Beleidigung des Humanismus«.
Was damit in deutschen Publikationen fälschlich als zunächst innerjüdischer Streit dargestellt wird, dient dem ordinären Deutschen nur als Steilvorlage. Der notorische Ludwig Watzal [5], Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung und zwischen neurechtem und linksextremistischem Milieu changierend, jubelt deshalb über den Mut – gegenüber wem eigentlich? – in der tageszeitung: »Gott sei Dank hat es die taz gewagt, nicht in den Chor der Henryk-M.-Broder-Beweihräucherer einzustimmen, der diesem ›humoristischen Hassprediger‹ (Daniel Bax) devot zu Füßen liegt.« [6]
Damit hat der Mohr, der hier ein Jude ist, sein Schuldigkeit getan und Deutschland ist wieder ganz bei sich selbst angekommen.
[1] http://www.dgap.org/
[2] Alfred Grosser: Warum ich Israel kritisiere
[3] Einat Wilf: Palästinenser sind selbst schuld an ihrem Elened
[4] http://www.taz.de/pt/2007/02/03/a0193.1/text
[5] http://lizaswelt.blogspot.com/2007/02/schmockierende-urteile.html
[6] http://www.taz.de/pt/2007/02/07/a0207.1/textdruck
Mittwoch, 14. Februar 2007
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