Sonntag, 25. März 2007

Die Versuchungen der Resignation

Benny Morris befürchtet für Israel einen zweiten Holocaust. Niemand, so der israelische Historiker, wird den Iran davon abhalten, seine nuklearen Vernichtungsphantasien in die Tat umzusetzen. In resignativer Stimmung stürzen manche sich in verzweifelte Pseudoaktivität, andere kultivieren die »Einsamkeit des Kritikers«. Adorno aber meinte einmal, »kompromisslos kritisches Denken« habe sich der »törichten Weisheit der Resignation« zu verweigern [1]. Im Versuch der Vermittlung nämlich rettet die Kritik die Hoffnung.

Heinrich Blücher soll einmal gesagt haben, Optimisten wären Dummköpfe, Pessimisten aber Feiglinge. Mehr als nur ein bonmot ist dies die Essenz seiner Erfahrung: durch Gasvergiftung im Ersten Weltkrieg über den imperialistischen Krieg belehrt, durch Mitgliedschaft im Spartakusbund und in der Kommunistischen Partei vom Kommunisten nicht zum Antikommunisten, sondern zum Ex-Kommunisten geworden (eine Unterscheidung, die seine spätere Frau Hannah Arendt stets herausstellte), weiter politisch als Antifaschist und nicht-jüdischer Zionist aktiv und darum zur Flucht vor den Nazis nach Amerika gezwungen – Blücher hielt zu jeder Zeit trotz düsterer Prognose an der Möglichkeit politischen Handelns fest.

Dass es für Optimismus keinen Grund gibt, scheint damals wie heute evident. Die Entwicklungen im Nahen Osten, vom verlorenen Krieg Israels gegen die Hisbollah im Libanon bis zur nahezu ungehinderten nuklearen Aufrüstung des Iran, machen dies triftig. Auch der desolate Zustand derer, die hierzulande vorgeben, für Israel einzutreten, stimmt wenig zuversichtlich; die mangels Masse gescheiterte »Massendemonstration« gegen Ahmadinedjad in Berlin Ende Januar mag dafür beispielhaft stehen.

Doch Pessimismus taugt nicht als Alternative. Denn Pessimismus bedeutet, will man Blüchers Wort folgen, Feigheit, insofern mit der Prognose auf immer schlechter und schlechter werdende Verhältnisse die eigene Ohnmacht durch den Ohnmächtigen selbst erst zementiert wird. Mit der Behauptung, es habe doch kein Handeln mehr irgendeine Aussicht auf Erfolg, wird die eigene Tatenlosigkeit gerechtfertigt. Man kann es sich im Pessimismus wie im Optimismus recht behaglich einrichten, denn bei beidem erscheint das Denken und Handeln der anderen stets unnütz, da doch Geschichte, als negativ oder positiv determiniertes Schicksal begriffen, sich dem Eingreifen des Einzelnen vermeintlich entzieht.

Im Grunde ist es auch eine pessimistische Grundhaltung, wenn mit dem Verweis auf einen Zentralbegriff der Kritischen Theorie – »gesellschaftliche Totalität« – vorgeblich proisraelische Linke das politische Handeln de facto einstellen und nur noch generaloppositionelle »Kritik« zum alleinigen Behufe der Selbstvergewisserung innerhalb der in group betreiben. Darüber verkommt solche »Kritik« zum bloßen Gestus, weil sie die Furcht vor dem »Mitmachen« durch das Beharren im von Zweifeln nicht tangierten, hermetischen, immer nur noch kleiner werdenden Raum zu bannen sucht. Im Zuge solcher Regression ist wohl nicht einmal die Kritische Theorie davor gefeit, als Jargon missbraucht zu werden. [2]

Dabei wäre gerade die dialektische Mühsal des kritischen Denkens angeraten. Ein solches Denken nämlich, dass die Totalität und die Möglichkeit ihrer Durchbrechung stets zusammen zu bringen vermag, »verlangt heute Parteinahme für die Residuen von Freiheit, für Tendenzen zur realen Humanität, selbst wenn sie angesichts des großen historischen Zuges ohnmächtig scheinen.« [3] So jedenfalls ist es in einer späten Vorrede zur Dialektik der Aufklärung zu lesen. Und früher schon, in der Minima Moralia, vermerkt Adorno, »es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewusstsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält.« [4]

Ein Blick, der aufs Grauen geht, muss heute einer in die Vergangenheit und die Zukunft zugleich sein. Der israelische Historiker Benny Morris hat ihn jüngst gewagt und dargelegt, dass ein zweiter Holocaust bevorsteht, weil niemand den Iran daran hindert, Israel nuklear zu vernichten. [5] Morris erinnert an die Vorgeschichte des ersten Holocaust, dem ein Jahrzehnt vorangegangen war, »in dem die Herzen und Hirne auf ihn vorbereitet wurden«. So aber ist es heute auch: »Verschiedene Botschaften haben verschiedene Publikumskreise erreicht, aber alle haben nur einem Ziel gedient, der Dämonisierung Israels.« Und dann, wenn es soweit ist, wird es sein wie damals; »wie im ersten Holocaust wird die internationale Gemeinschaft nichts tun.« Und es wird doch völlig anders sein, denn die Mörder werden den Opfern nicht mehr nahe kommen müssen, es wird ein Töten aus großer Distanz sein: »Im nächsten Holocaust wird es keine solch herzzerreißenden Szenen geben, wo Täter und Opfer von Blut besudelt sind.«

Benny Morris schreibt, als wäre diese Entwicklung mit historischer Notwendigkeit vorgezeichnet, er schreibt vordergründig resigniert. Und doch: In dem Moment, da er, sich einer Öffentlichkeit zuwendend, schreibt, rettet er die Möglichkeit einer anderen Entwicklung. Was zunächst als düstere Vision mit triftigen Gründen ausgebreitet wird, ist doch eigentlich ein Appell: verzweifelt vielleicht, und dennoch eine Intervention, die, so vage die angesprochene Öffentlichkeit auch immer sein mag, noch nicht jede Hoffnung aufgegeben hat. So löst gerade Morris die Forderung ein, »im ungemilderten Bewusstsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren« festzuhalten.

Das Beharren auf dieser »Möglichkeit des Besseren«, die Hoffnung also, gestaltet sich als ein Beharren wider besseres Wissen, denn was gewusst werden kann, hat Morris in aller Eindringlichkeit formuliert.

Die Hoffnung sich aber dadurch zu erhalten, dass der Blick den Zumutungen entzogen wird, man sich also absichtsvoller Blindheit hingibt, ist auch eine Form der Resignation: es ist die Resignation vor der Realität, die man beschließt, nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen. Wenn heute noch für Israel Politik gemacht werden soll, indem in Deutschland auf öffentlichen Plätzen »frisch gepresster Orangensaft aus Jaffaorangen und frisch zubereitete Falafel« [6] angeboten werden, dann hat dies tragikomische Züge. Hier wird einer Pseudorealität eine Pseudoaktivität entgegengesetzt [7] – und die wohlmeinenden Aktivisten vermögen nicht einmal mehr ihr eigenes Scheitern zu erkennen. Es ist wahrlich sinnfrei, sich gedankenlos der Praxis zuzuwenden, der alten Parole »Genug des Geredes« folgend, die eigene Rede einzustellen, und darüber, wie Adorno in seinen Überlegungen zur Resignation festhielt, zum Handeln sich terrorisieren zu lassen [8].

Die Hoffnung aber fahren zu lassen, ist die andere Form der Resignation. Wird das Politische dann allenfalls als »Einsamkeit des Kritikers« noch kultiviert, wird sich also nicht mehr um die Vermittlung der Kritik bemüht, weil an ihre Vermittelbarkeit nicht mehr geglaubt wird, so ist das angewandte Denkverfahren das der Distinktion, mithin der Gegenbegriff zu aller dialektischen Vermittlung [9]. Am Ende bleibt selbstgenügsame und selbstzufriedene Rechthaberei; der politische impact tangiert gegen Null.

Wird also ein Begriff von der »Einsamkeit des Kritikers« gepflegt, bei dem nicht ein intellektueller Zustand in der politischen Auseinandersetzung gemeint ist, sondern ein geradezu physischer Zustand außerhalb des gesellschaftlichen Raumes, so ist ein solcher Begriff schon ganz verkümmert. Dabei schärft sich Kritik erst in der Auseinandersetzung, hat sich hier zu äußern und – scheitert oft mit Notwendigkeit. Denn die Rede von der »Einsamkeit des Kritikers« macht genau hier Sinn, wo der Kritiker sich weder zum positiv gestimmten Mitmachen verpflichten lässt, während darüber das eigene Denken zu dispensieren wäre, noch sich der Anstrengung entledigt, die Kritik in die Auseinandersetzung zu tragen, statt sie der hermetisch abgeriegelten in group, in der kein Streit ist, vorzubehalten. Gerade weil Kritik, tritt sie den zu Kritisierenden zu nahe, als querulant erscheint, scheitert sie in der Praxis. Doch ist es auch gar nicht ihr Anliegen, in Praxis umgesetzt zu werden, sondern vielmehr jede Praxis zu hinterfragen.

Darum gilt, am eigenen Denken, an der Realität und an der Hoffnung festzuhalten, und diese Hoffung ist wohl begründet: »Was triftig gedacht wurde, muss woanders, von anderen gedacht werden: das Vertrauen begleitet noch den einsamsten und ohnmächtigsten Gedanken.« [10] Die Anstrengung der dialektischen Vermittlung erst befördert diese Hoffnung; wer sich ihr entzieht, hat längst schon aufgegeben. Dies gilt auch in Bewusstsein der Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens: »Ein solcher emphatischer Begriff von Denken allerdings ist nicht gedeckt, weder von bestehenden Verhältnissen noch von zu erreichenden Zielen, noch von irgendwelchen Bataillonen.« [11]


[1]
Theodor W. Adorno: Resignation. In: Kulturkritik und Gesellschaft II (Gesammelte Werke Band 10.2), Seite 798

[2] Ein evidentes Beispiel für die Verkümmerung kritisch-theoretischer Begriffe zur Phrase bietet das aktuelle Editorial der Zeitschrift prodomo.

[3] Theodor W. Adorno: Zur Neuausgabe. In: Dialektik der Aufklärung (Gesammelte Werke Band 3), Seite 9

[4] Theodor W. Adorno: Herr Doktor, das ist schön von Euch. In: Minima Moralia (Gesammelte Werke Band 4), Seite 26

[5] Benny Morris: Der zweite Holocaust

[6] http://www.jerusalem-schalom.de/israeltag.htm

[7] Theodor W. Adorno: Resignation. in: Kulturkritik und Gesellschaft II (Gesammelte Werke Band 10.2), Seite 796

[8] Ebenda, Seite 798

[9] Theodor W. Adorno: Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. (Gesammelte Werke Band 2), Seite 125

[10] Theodor W. Adorno: Resignation. In: Kulturkritik und Gesellschaft II (Gesammelte Werke Band 10.2), Seite 797

[11] Ebenda, Seite 798


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