Donnerstag, 31. Mai 2007

Plädoyer für die eine oder andere Mauer

Ein Grundgesetzt der Physik besagt: Wo ein Körper ist, da kann kein zweiter sein. Will nun aber der eine partout dorthin, wo der zweite sich bereits befindet, und sind diese Körper auch noch menschlicher Natur, so endet dies zumeist in leidlichen Schmerzen für alle Betroffenen. Eine stabile Mauer vermag in solchen Fällen das Ärgste zu verhindern.

Doch nicht jede Mauer dient dem guten Zweck. Die Chinesische zum Beispiel ist nicht nur lang und darum höchst beschwerlich abzuschreiten, sondern heutzutage gänzlich unnütz, ja kontraproduktiv. Als Touristenattraktion beschert sie den Pekinger Stamokaps wertvolle Devisen, die mitnichten dem Proletariat respektive Prekariat zugute kommen. Auch die Berliner Mauer ist in ihren Restbeständen kaum zu goutieren. Wo sich Friedrichshain und Kreuzberg durch die Oberbaumbrücke zum Wahlkreis von Hans-Christian Ströbele vereinigen, da sind auf einem übrig gebliebenen Stück des ehemals antifaschistischen Schutzwalls die palästinensische und die deutsche Flagge ineinander getuscht; darüber prangt ein Davidstern nebst friedensbewegter Parole im Pisa-Englisch: »Who stop the war?« Wenn irgendwo, dann gilt hier: Die Mauer muss weg!

Ganz anders verhält sich das aber in Heiligendamm, dem Ort, da sich einige mehr und einige weniger sympathische big shots zusammenfinden, was ihnen wiederum von gar nicht wenigen »globalisierungskritischen« small crocks geneidet wird. Nun haben beide Gruppierungen ein gutes Recht auf ein je eigenes Stelldichein, auch wenn den einen die Parolen der anderen, und den anderen die Beschlüsse der einen nicht gefallen. Nur schließt das einleitend zur Erinnerung gebrachte physikalische Gesetz aus, dass dies alles am gleichen Ort zur gleichen Zeit geschieht. Die No-Globals scheinen dieses Gesetz aber missachten zu wollen und drohen Ungemach an: »Shut down G8«, »When the going gets rough«, »Fight G8«, »Block G8« - so heißen die offiziellen Parolen [1]. Und das hört sich nicht danach an, als ginge es nur darum, die antikapitalistische »Botschaft« zu Gehör zu bringen, wie dies angelegentlich euphemistisch behauptet wird.

Denn wäre mehr nicht beabsichtigt, so könnte man das Zu-Gehör-Bringen den Altvorderen der Jugendbewegung Attac wie Ex-CDU-General Heiner Geißler oder den Vorsitzenden von Linksparteien wie Oskar Lafontaine überlassen, die regelmäßig bei Christiansen, Beckmann et. al. vorsprechen. Oder man vertraute auf die friedlichen Protestanten. Die treffen sich am »Heiligen Damm des Gebets«, wenn am 6. Juni um 18 Uhr einhundert Kirchengemeinden im Umfeld von Heiligendamm acht Minuten lang die Glocken scheppern lassen. Oder aber man ertrüge tags darauf Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen und – natürlich – Bono solo in Rostock beim Konzert mit dem einladenden Titel »Music & Message«. Für Anfragen bzgl. Hotelzimmer, Pensionen: Tourismuszentrale Rostock, Neuer Markt 3, 18055 Rostock. Der Trend geht eindeutig zum Inlands-Urlaub.

Nur scheint es nicht jeder bei deinem Trip zur schönen Küste in Deutschlands Osten auf derlei geräuschvolle Friedfertigkeiten anzulegen: Im jüngsten Spiegel macht Hans Magnus Enzensberger einen »Vorschlag zur Güte« [2], weil auch er fürchtet, dass nicht nur Gehör, sondern Randale gesucht werden könnte. Dies treibt ihn um; da will er nicht länger abseits stehen und vom Publikum praktisch unbemerkt im Literaturmuseum der Moderne in Marbach »Poesieautomaten« und andere »Wortspielzeuge« aufstellen. Enzensberger will sich, wie jeder deutsche Dichterdenker, politisch engagieren, einmischen, das Wort ergreifen. Das hat er schon ein paar Mal getan, und er hat sich dabei als auffällig wenig besorgt um des deutschen Volkes Wohlwollen gezeigt. So unterstützte Enzensberger den Irak-Krieg der Amerikaner und sprach von triumphaler Freude angesichts des Sturzes von Saddam Hussein. So lieferte er erst jüngst in seinem Essay »Schreckens Männer« kluge Überlegungen zu islamistischen Selbstmordattentätern, die sich als Sieger gebärden, während sie doch radikale Verlierer aufgrund ihres eigenen antimodernen Unvermögens sind.

Dieser Tage also denkt Enzensberger über Heiligendamm nach, und hätte sich doch besser wieder um Marbach am schönen Neckar gekümmert. So aber kommen ihm »Erinnerungen an Krieg und Diktatur«, er spricht von der Vertreibung der Zivilbevölkerung, vom Ausnahme- und Belagerungszustand und von den G8-Teilnehmern als einer Besatzungsmacht. Er konstatiert, dass diese die »Sicherheitsrisiken, mit denen sie zu kämpfen haben, selber herbeiführen«. Und dies allein durch ihre Anwesenheit. Er empfiehlt ihnen deshalb, sich auf einsamen Inseln in der Karibik oder im Stillen Ozean zu treffen. Anderenfalls wären sie es selber, die jene »gewaltbereite Minderheit anlocken und ihr für ihre Auftritte eine unwiderstehliche Bühne verschaffen«. Enzensberger sieht gegenüber den G8-Teilnehmern »die restliche Bevölkerung, eine, wie ich meine, nicht unerhebliche Majorität« in ihrem Missmut und ihrer Abneigung im Recht. Deshalb mahnt er die sich versammelnden Politiker: »Glauben Sie mir, ich meine es gut mit Ihnen; denn sie öden mit Ihren Veranstaltungen nicht nur die Bevölkerung an, Sie schaden auch sich selber. Wie die Geschichte lehrt, sind Okkupanten unbeliebt, und Sie legen doch gewiss Wert auf die Wertschätzung Ihrer Mitmenschen. Mein Rat wäre deshalb: Treiben Sie es nicht auf die Spitze!«

Dieser Rat aber klingt fast wie eine Drohung aus dem Schwarzen Block. Dabei hat das alles, folgt man Enzensbergers Majoritäts-Gedanken, eine bestechende Logik und ließe sich auf andere politische Felder übertragen. In Brandenburgs Osten sind die autochthonen Deutschen eine nicht unerhebliche Majorität gegenüber Migranten. Letztere bieten durch ihr ungewohntes Auftreten außerdem eine unwiderstehliche Bühne für eine gewaltbereite Minderheit unter ersteren. Für die Etablierung weitgehend »national befreiter Zonen« hat Enzensberger aber dennoch nie Verständnis gezeigt, ganz im Gegenteil. Ein anderes Beispiel: Den Schülern des jüdischen Gymnasiums in Berlin Mitte muss man nun wohl erklären, dass sie sich nur selber schaden. Denn da sie unter Polizeischutz zur Schule gehen, kann die nicht-jüdische Majorität leicht den Eindruck bekommen, dass hier ein Ausnahme- und Belagerungszustand herrschen würde. Man kann ihnen daher nur raten, es nicht auf die Spitze zu treiben. Sollten die Juden also besser in den Nahen Osten gehen? Doch, leider, auch dort gilt das Majoritäts-Prinzip, und die Zionisten führen die Sicherheitsrisiken, mit denen sie zu kämpfen haben, qua Existenz selbst herbei. Ein logisches Dilemma, über das Hans Magnus Enzensberger sicher noch nachdenken wird. Denn Enzensberger ist tatsächlich einer der letzten, denen man Antisemitismus oder Antizionismus unterstellen könnte; mit Jorge Semprun und anderen unterzeichnete er 2002 beispielsweise ein ungewöhnliches Manifest zur Unterstützung des von der Regierung Sharon errichteten Schutzwalls zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten. Auch Enzensberger ist also eigentlich ein Befürworter der einen oder anderen Mauer.

Nun aber empfiehlt er, dass sich die Staats- und Regierungschefs der G8 der sich in Heiligendamm ankündigenden Mehrheit beugen und besser verschwinden sollten. Diese Apologie der Tyrannei touristischer Mehrheiten aber hat mit jenem Verständnis von Demokratie recht wenig zu tun, welche es gerade Minderheiten gestatten will – auch jenen, die von der Mehrheit nicht sonderlich gemocht werden – sich zu versammeln, wann immer und wo immer sie wollen, und diese zu schützen trachtet, wenn der Pöbel mit Gewalt droht.

Hinter dem Denken von Enzensberger und dem Rest seiner nicht unerheblichen Majorität steckt eine gewisse Ranküne, weil die in Heiligendamm sich versammelnden Politiker ja nicht für das, was sie dort konkret diskutieren, sondern für das, was sie sind – Personifikation der Globalisierung – angefeindet werden und ihnen darum das Recht auf ein paar friedliche Cocktails in einer mondänen Bar am Ostseestrand mittels gar nicht so friedlicher Molotow-Cocktails abgesprochen werden soll. Werden die politischen Äußerungen des legalen Arms der No-Globals doch einmal konkret, so fehlen alle kritischen Töne gegenüber Russland und China; nichts hört man über deren autoritäre Staatsstrukturen, deren imperialen Bestrebungen, deren Repression gegenüber Dissidenten. Wenn es konkret wird, so stehen allein Amerikas Umweltpolitik, Amerikas Nahostpolitik, Amerikas Währungspolitik etc. im Mittelpunkt. Interessant wäre daher, ob sich für eine G8 minus 1 – ohne die USA – auch nur eine paar Dutzend Aktivisten mobilisieren ließen.

So ist es eigentlich doch gut, dass sich die G8 in Heiligendamm treffen, und unter ihnen auch die Projektionsfigur George W. Bush weilt. Denn was würden all die Gerechten tun, wenn sie nicht einmal im Jahr an irgendeiner Sicherheitsmauer »den Widerstand bunt und stark« artikulieren könnten, »Kunst am Zaun« veranstalten dürften, oder aber – das obligatorische Highlight – zusammen mit den European Jews for a Just Peace der »israelischen Militärbesetzung der palästinensischen Gebiete« gedenken könnten, »zumal Israel das Feuer des politischen, ethnischen und religiösen Extremismus in den arabischen und muslimischen Ländern schürt.« Die entsprechende Mahnwache findet am 5. Juni ab 11 Uhr am Sicherheitszaun Vorder Bollhagen statt, symbolischer Ort für die »Unrechtsmauer ... die quer durch die besetzten Gebiete verläuft«. [3]

So haben die No-Globals ein symbolisches Stück Maschendrahtzaun am Ostseestrand zum Wüten und Abreagieren. Das ist gut für den emotionalen Haushalt und sorgt für frische Luft und ein bisschen Bewegung. Was will man für unsere jungen Menschen denn mehr? Diese Mauer ist in jeder Hinsicht von Vorteil.

[1] Alle zu finden auf: www.g8-2007.de und www.attac.de

[2] Hans Magnus Enzensberger:
Vorschlag zur Güte. in: Spiegel 22/2007

[3] Junge Welt vom 30. Mai 2007

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