Donnerstag, 18. Januar 2007

Die Simulation des Appeasements

Wird dem Islamismus und damit dem eliminatorischen Antizionismus nicht entschiedenen begegnet, so bezeichnen dies Kritiker zumeist als »Appeasement«. Doch scheint dieser Vorwurf nicht immer hinreichend. Appeasement nämlich ist die Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse gegenüber einem Aggressor. Wird der Islamismus aber als Avantgarde gegen die ›wahren Aggressoren‹ USA und Israel interpretiert, so kann von Appeasement keine Rede mehr sein.

Keine Alternative

Dem amerikanischen Historiker und Publizisten Walter Laqueur kann man nicht nachsagen, er würde die Gefahr des Islamismus, dem man in Europa zumeist mit einem politischen, kulturellen und moralischen Relativismus begegnet, unterschätzen. Erst jüngst zeichnete er das Bild eines Europas im Niedergang [1], weil es nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch nicht in der Lage sei, diese Bedrohung zu erkennen und zu bekämpfen. Mit der Manifestation von Parallel- und Gegengesellschaften in Deutschland, mit der Etablierung einer wirkungsvollen Infrastruktur islamistischer Extremisten und Terroristen in Großbritannien und mit der sich in nihilistischen Revolten äußernden Segregation in Frankreich ist offensichtlich eine neue Qualität erreicht. Walter Laqueur fragt sich zu Recht, ob diese Entwicklung Europas überhaupt noch reversibel sei – und gibt sich skeptisch.

Auf die Frage, was Europa jetzt aber noch zu tun bliebe, »nachdem ein starkes, standhaftes Auftreten zur Verhinderung der gegenwärtigen Krise verpasst wurde«, fällt Laqueur, vom Mahner zum Defätisten gewandelt, nur noch der Vorschlag ein, es mit Appeasement zu versuchen. Andere Alternativen wären nicht zu erkennen. Konkret bedeutet dies, »dass man sich mit Kritik an den grundlegenden Überzeugungen und Praktiken der jeweils anderen Seite zurückhalten sollte«. Denn wenn eine Religion 1,2 Milliarden Anhänger hat, so »ist es nicht ratsam, offen über ihre negativen Seiten herzuziehen«. Laqueur sieht erste Schritte in die richtige Richtung: »Ein gewisses Maß an Selbstzensur wird von den westlichen Politikern und Medien ja bereits praktiziert, und das könnte Schule machen«. So sollte es Zugeständnisse in den Lehrplänen staatlicher Schulen geben, denn warum sollten beispielsweise junge Muslime in Italien die Renaissance studieren, also auch Texte von Dante, »der doch so Hässliches über den Propheten Mohammed geschrieben hat«? Schließlich weist Laqueur darauf hin, dass dieses Appeasement, dass zunächst noch eine Zurückhaltung und Verstellung gegenüber dem Feindlichen bedeutet, in der Konsequenz weiter geht: »Das schließt ein, dass man einer Zivilisation und einem Lebensstil gegenüber, die einem persönlich und den Werten nach eigentlich fremd sind, nicht nur Verständnis zeigt, sondern sogar Bewunderung zum Ausdruck bringt.« Laqueur illustriert hier am praktischen Beispiel die Essenz des Appeasements, mithin den schmalen Grat zwischen Beschwichtigung und offener Kumpanei.

Begrifflichkeit

Beim Appeasement geht es, ganz dem französischen Wort apaiser (befrieden) im Kern darum, einen Aggressor zu besänftigen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass ein offener Konflikt, der mit einiger Wahrscheinlichkeit in eine militärische Auseinandersetzung münden würde, nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Preis zu überstehen ist, weswegen deshalb auf eine Besänftigung des mächtigen, zumeist als übermächtig angesehenen Gegners abgezielt wird. Die politischen Mittel dazu sind vielfältig, sie reichen von der Bekundung der eigenen Dialogbereitschaft über zurückhaltende Reaktionen auf Drohgebärden des Feindes bis hin zu substanziellen Zugeständnissen. Diese Zugeständnisse betreffen oft die eigenen Werte, die innenpolitisch ebenso geopfert werden wie die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten. Frieden um eben diesen Preis wird als höheres Gut bewertet.

Churchill versus Chamberlain

Dies drückt beispielsweise Arthur Neville Chamberlain aus, als er Ende September 1938 aus München zurückkommend das dort unterzeichnete Abkommen als »Peace for our time!« feiert. Großbritannien ist nach dem Ersten Weltkrieg kriegsmüde, sieht sich politisch wie militärisch zu schwach, um Deutschlands Anmaßungen Einhalt zu gewähren. Doch der mit den Nationalsozialisten ausgehandelte Frieden hat einen hohen Preis. Der Bruch der Versailler Verträge, der Anschluss Österreichs und schließlich die Annexion tschechoslowakischer Gebiete – all dies wird geduldet in der Hoffnung, dass sich darin die Forderungen der Deutschen erschöpften und man sich selbst nicht mehr länger im Visier des Aggressors befände. Winston Churchill, Chamberlains Konterpart im britischen Parlament, teilt diesen Optimismus nicht – und behält mit seinen Mahnungen Recht. Nur ein halbes Jahr später errichten die Nationalsozialisten das »Protektorat Böhmen und Mähren«; am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg.

Bei aller Differenz zwischen Appeasement und Offensive, zwischen Chamberlain und Churchill, teilen beide unzweifelhaft die Angst vor dem deutschen Streben, ja die ehrliche Ablehnung der deutschen Expansionspolitik. Noch in seiner berühmten Unterhausrede am 5. Oktober 1938, in der das Münchner Abkommen diskutiert wird [2], äußert Churchill seine vehemente Kritik an Chamberlain »keineswegs aus Mangel an persönlicher Wertschätzung«, sondern spricht dem Premier das »tiefste Verständnis für den Druck und die Spannung, unter denen er stand« aus.

Churchill wendet sich nicht einmal grundsätzlich gegen jedes Appeasement. Er lässt es aber nur als taktische Finte gelten, um den Gegner einige Zeit hinzuhalten, wenn diese benötigt wird, um sich selbst hinreichend für die offene Konfrontation zu rüsten. Nie aber dürfte ein solcher taktischer Frieden ungenutzt bleiben, um »Jahre voll wirkungslos guter Absichten« verstreichen zu lassen.

Doch liegt der Fall von München 1938 anders, dem Frieden wird von Chamberlain Glauben geschenkt, die britische Apathie kulminiert. Dagegen hält Churchill, »dass wir eine völlige, durch nichts gemilderte Niederlage erlitten haben«. Der große Rhetoriker gibt sich im Parlament resigniert, da Chamberlains Fraktion einen Frieden mit den Nationalsozialisten feiert: »Schweigend, trauernd, verlassen und gebrochen versinkt die Tschechoslowakei in der Dunkelheit. Sie hat in jeder Weise dafür büßen müssen, dass sie sich den Demokratien des Westens und dem Völkerbund anschloss, dem sie stets treu gedient hat.« Damit macht Churchill klar: Indem man die außenpolitische Solidarität mit anderen Bedrohten aufgeopfert hat, hat man zugleich seine eigene Position und damit sich selbst verraten. Dieser Selbstverrat, der die militärische Niederlage zu verhindern sucht, ist ein moralischer und politischer Bankrott. Der Selbstverrat bedeutet den Verlust jener menschlichen Würde, ohne die kein wirkliches Leben mehr ist.

Ein Appeasement, das sich ganz auf die Beschwichtigung verlässt, geht davon aus, dass der Aggressor im Kern vernünftig agiert, dass seine Ansprüche in einem gewissen Maße rational begründet und darum auch in Teilen verhandelbar sind. Churchill dagegen erfasst den wahnhaften Impuls der Deutschen und spricht im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung von jener barbarischen Macht, die sich »ihrer Aggressionslust und Eroberungssucht rühmt, Kraft und perverse Lust aus Verfolgungen schöpft und, wie wir gesehen haben, mit unbarmherziger Brutalität sich der Drohung mörderischer Gewalt bedient«. Er erkennt diesen Wahn, dem mit Vernunft nicht beizukommen ist, dem nichts verhandelbar ist. Setzt man diesem Wahn nun Appeasement entgegen, so ist das Scheitern vorhersehbar, weshalb es die schlechteste der Optionen ist.

Am 13. Mai 1940, Deutschland führt Krieg gegen Europa, tritt Churchill nunmehr als Kriegspremier vor das Unterhaus [3]: »Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.« Er kann und will keine Sicherheit geben, doch er weiß, »ohne Sieg gibt es kein Weiterleben«. Keines zumindest, welches dem sich selbst bewussten Begriff von Leben angemessen wäre. Denn es wäre ein Leben nur um den Preis, dass es nicht mehr ein selbstbestimmtes Leben ist, ein Frieden nur um den Preis, dass einem die eigene Würde und der Selbstwert genommen sind.

Mit der Entscheidung gegen das Appeasement wird sich nicht für einen falschen Todesmut ausgesprochen; Krieg und Tod werden schon gar nicht als sinnstiftend oder erlösend verklärt, wie es deutsche Tonsetzer und Dichter, ob Richard Wagner oder Ernst Jünger, den Ihren vorgegeben haben. Vielmehr spricht sich hier eine großartige Lebenssehnsucht aus. Sie ist der größtmögliche Widerspruch zur deutschen Vernichtungs- und Todessehnsucht, die in kaum gewandelter Form heute von den Islamisten propagiert wird, wenn sie gegen den Westen höhnen: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!« [4]

Der ›wahre‹ Aggressor

Aus den Beispielen, historischen (Chamberlain) wie aktuellen (Laqueur), bleibt festzuhalten, was einen genaueren Begriff des Appeasements ausmacht: Einem als Aggressor verstandenen Gegner wird versucht, durch eine Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse einen Frieden abzugewinnen, und sei es durch Aufgabe eigener Werte und durch Aufgabe der Solidarität zu anderen, welche für eben jene Werte stehen. Beim Appeasement wird ferner von der Annahme ausgegangen, der Aggressor würde letztlich rationale und deshalb verhandelbare Ziele verfolgen, denen durch Zugeständnisse entsprochen werden kann.

Und aus eben diesem Begriff begründet sich eine ernste Skepsis, ob die zurückhaltende, ja zunehmend fördernde Haltung gegenüber den Islamisten, die heute allenthalben in den Vereinten Nationen und in der Europäischen Union zu finden ist, von deren Kritikern überhaupt zutreffend als Appeasement bezeichnet werden kann. Dies würde nämlich voraussetzen, dass im Iran tatsächlich ein Aggressor gesehen wird, dem man aus einer Position der vermeintlichen Ohnmacht heraus mit falschen Mitteln beizukommen versucht.

So sprechen die jüngsten Umfragen dagegen. Eine internationale Erhebung des »Pew Research Center« [5] vom Sommer 2006 ermittelt, dass nur etwa ein Drittel der Menschen in Großbritannien, Spanien und Frankreich den Iran überhaupt als Bedrohung des Weltfriedens ansehen, viel gefährlicher wäre das Verhalten der USA (im Irak) und der Israelisch-Palästinensische Konflikt. In Deutschland nehmen immerhin 51% der Menschen den Iran als reale Bedrohung war, aber ebenso viele den Israelisch-Palästinensischen Konflikt. In Russland, China und vielen arabischen Ländern halten drei Viertel der Befragten den Iran nicht für bedrohlich, in Indonesien sind es 93%, in Pakistan gar 96%. Etwa die Hälfte der in Pakistan, Jordanien und Ägypten Befragten sprechen sich sogar ausdrücklich dafür aus, dass der Iran die Bombe baut. Dies korreliert mit der Ablehnung gegenüber den Amerikanern: Die Zahlen in Europa sehen nur unbedeutend besser aus als in vielen muslimischen Ländern, in denen der Antiamerikanismus traditionell zur Staatsraison gehört.

So liegen No-Globals und andere Freunde der internationalen Solidarität mit ganz perfider Freude ganz richtig: »In Europa und in muslimischen Ländern wird die US-Politik im Irak als größere Bedrohung für den Weltfrieden angesehen als das Nuklearprogramm des Iran.« [6]

Es dürfte also in vielen Staaten mehr als fraglich sein, ob der Iran als eine relevante Gefahr gesehen wird. Ist dies nicht der Fall, so hat dies durchaus einsichtige Gründe. Denn die Aggression des Iran richtet sich in allererster Linie gegen Israel und die USA. Damit aber haben die Wenigsten ein ernsthaftes Problem, im Gegenteil. Denn oft genug werden die Amerikaner und Israelis als die ›wahren‹ Aggressoren ausgemacht. Meines Feindes Feind: ein Mullah.

Stellvertreter

Staaten wie Russland und China sehen im Iran einen möglichen Hebel gegen den Erzrivalen, die Vereinigten Staaten. Als ihren Stellvertreter bringen sie Teheran darum in Stellung. Nach dem amerikanischen Desaster im Irak soll Washington sich in einem weiteren Konflikt, dem mit dem Iran, als letzte weltpolitische Ordnungsmacht vollständig desavouieren. Die nächste Wunde, die den USA dabei geschlagen wird, soll Israel heißen.

Sowohl im konventionell-militärischen als auch im atomaren Bereich ist Moskau der wichtigste Partner der Mullahs in Teheran. Mitte Dezember 2006 bekräftigt der Präsident des Unternehmens »Atomstrojexport«, Sergej Schmatko, am Rande eines Besuches im Iran, dass das im Bau befindliche iranische Atomkraftwerk Buschehr wie geplant ab März 2007 mit Nuklearbrennstoff aus Russland versorgt wird. Zeitgleich wird ein Vertrag zwischen Russland und dem Iran über die Lieferungen von 29 Flugabwehr-Raketensystemen umgesetzt. Die USA haben deshalb Sanktionen gegen jene russische Firmen verhängt, die diese Waffensysteme an den Iran liefern, darunter auch gegen den staatlichen russischen Rüstungsexporteur »Rosoboronexport«. Im Resultat der russischen Lieferungen, die neben Flugabwehr-Raketen auch Jagdflugzeuge vom Typ MiG-29 und Kampfbomber vom Typ SU-24 beinhalteten, ist nicht mehr nur die Wirksamkeit von Bombardierungen der iranischen Atomanlagen, sondern auch die Stärke eines möglichen iranischen Gegenschlages unkalkulierbar geworden. Inzwischen ist Russland wieder Weltmarktführer beim Export von Rüstungsgütern in Entwicklungsländer; die Verträge mit Teheran haben diesen Spitzenplatz erst ermöglicht. [7] Damit nicht genug: im Krieg gegen die vom Libanon aus operierende Hisbollah hat Israel modernste, fabrikneue russische Panzerabwehrraketen sichergestellt. Manche waren gar noch mit russischen Begleitpapieren versehen. [8]

Es wäre falsch, diese Partnerschaft Russlands mit den Mullahs und anderen Terrorregimes auf Ökonomisches zu reduzieren. Die Waffenexporte dienen effektiv der Stärkung der militantesten Kräfte gegen die USA und Israel. Und das genau ist ein vorrangiges Ziel der Russen. Vom Kampf gegen den Terrorismus ist in Moskau allenfalls dann die Rede, wenn es sich um separatistische Tendenzen handelt, die an den eigenen Staatsgrenzen zu rütteln drohen. Dabei ist es für Moskau völlig unerheblich, ob es sich um christliche Georgier oder muslimische Tschetschenen handelt.

Russland ist schon lange keine Supermacht mehr und schaut aus diesem Grund mit Missgunst auf die USA. Aus dieser Ranküne heraus hat Russland jedoch immer noch die Potenz, die Außenpolitik der USA zu unterminieren.

Gleichwohl Russland und China die mächtigsten Partner Teherans außerhalb der islamischen Welt sind, so unterstützen auch andere Staaten mit ihren bescheideneren Mitteln die radikale Avantgarde des Antiamerikanismus und eliminatorischen Antizionismus. Dem maroden Castro darin folgend steht sein linkspopulistischer Freund Hugo Chávez Modell für diese Politik: Während eines Besuches in Teheran im Juli 2006 erklärte er im Gespräch mit Al-Djasira: »Israel verübt an den Libanesen dieselben Handlungen, wie sie Hitler an den Juden verübt hat – die Ermordung von Kindern und Hunderten unschuldigen Zivilisten«. Iran und Venezuela seien »Brüder« - Venezuela werde »unter welchen Umständen auch immer« stets an der Seite Teherans stehen. Gemeinsam könne man den Imperialismus der USA besiegen [9]. Bei einem Gegenbesuch von Ahmadinedjad bei Chavéz am 11. Januar 2007 bekräftigen sie nochmals die gemeinsame Haltung zu Fragen des iranischen Atomprogramms und betonen ihre »strategische Allianz« gegen die USA: »Wir fördern die revolutionären Gedanken in der Welt.« [10]

Den Kumpanen der Mullahs kann man viel Arges unterstellen, eines jedoch nicht: Appeasement.

Europa

Die europäische Idee der Nachkriegszeit beruht auf dem Glauben, gegen das amerikanische Modell eine Vision von allgemeiner Gerechtigkeit und internationaler Verrechtlichung, von Kollektiv statt Individuum, von Sozialstaat und Altruismus statt freiem und lebensfeindlichem Markt etablieren zu können. Diese Vision allein würde dann zum entscheidensten Instrument der Weltpolitik werden.

Doch aus dieser Vision wurde vor allem der neuzeitliche Antiamerikanismus geboren, wie ihn Hannah Arendt schon früh als »europäisches Konzept« [11] ausmachte. Spätestens mit der in den 1990er Jahren evident gewordenen Krise Europas hat dieses Konzept, welches sich zu einem welterklärenden System entwickelte [12], seine Funktion darin, das eigene Scheitern – ob auf dem Balkan oder auf den globalisierten Märkten – durch wahnhafte Projektion erträglich zu gestalten.

Lokale Bündnisse

Während sich die europäischen Regierungen verbal noch zumeist an die einstudierten Codes der transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaft halten, entwickeln sich auf lokalpolitischer und außerparlamentarischer Ebene bereits offen agierende Bündnisse mit islamistischen und pro-terroristischen Kräften.

So steht eine der wichtigsten politischen Organisationen der britischen Muslime, der Muslim Council of Britain, nicht nur bekanntermaßen der radikalen Muslimbruderschaft und der Hamas nahe, sondern pflegt auch enge Kontakte zu linksradikalen Parteien und Organisationen auf der Insel, u.a. zur trotzkistischen Socialist Workers Party. Mehr noch: Ausgerechnet Londons Bürgermeister Ken Livingston verteidigt die Organisation gegen jegliche Angriffe. Das Bindeglied zwischen dem roten Ken, dem Muslim Council of Britain und den britischen Trotzkisten ist die gemeinsame Ranküne gegen Israel und die USA. Aufgrund analoger politischer Präferenzen ist auch der politische Imam Yussuf al-Qaradawi, der noch während der Kampagne gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen Anfang 2006 zum weltweiten Heiligen Krieg aufrief, gern gesehener Gast beim Londoner Bürgermeister. Qaradawi, so Livingston über den Fernsehprediger von Al-Djasira, sei eine häufig verunglimpfte progressive Stimme der Mäßigung. Wiewohl wegen antisemitischer Entgleisungen per Gerichtsurteil bereits für vier Wochen vom Bürgermeisteramt suspendiert, fährt Livingston in seiner judenfeindlichen und antizionistischen Manier fort. Ariel Sharon ist ihm ein »Kriegsverbrecher«, der für »ethnische Säuberungen« verantwortlich sei, überhaupt sei die israelische Besatzungspolitik mit der Shoa zu vergleichen. Seine Wähler ficht dies wenig an, im Gegenteil. Livingstons Antwort auf die Anschläge von London, eine Mischung aus verstiegenem Multikulturalismus und ideologieübergreifendem Antisemitismus, scheint in Londonistan [13] heute mehrheitsfähig. Das Bündnis aus Linken und Islamisten ist in London inzwischen Stadtpolitik.

Eine ebenso ›progressive‹ Stimme ist der britisch-pakistanische Streetworker Ahmed Shah, der in Berlin vom Senat für sein Theaterstück »Intifada im Klassenzimmer« die notwendige finanzielle und politische Unterstützung erhielt. Patrick Neu stellt zu diesem Theaterstück in der Jüdischen Zeitung fest:

»Wiederholt werden darin Bezüge und Vergleiche zu Nazi-Deutschland und zum Holocaust angestellt, um die Situation von Arabern und Moslems als unter pauschalem Terrorismusverdacht stehenden Opfern im heutigen Deutschland sowie das Handeln Israels gegenüber den Palästinensern und der USA im Irak darzustellen. Bilder aus Vernichtungslagern sowie aus Guantanamo werden auf eine Leinwand hinter der Bühne projiziert und deutliche Analogien zu der Situation von Muslimen und Arabern in Deutschland suggeriert.« [14]

Shah kam als Kader der bereits erwähnten trotzkistischen Socialist Workers Party von Großbritannien nach Berlin und baute seinem Auftrag folgend die heute vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung »Linksruck« in Deutschland auf. In einer Broschüre der Berliner Geheimdienstbehörde [15] wird explizit auf Shah und dessen antisemitische Elaborate in linken Magazinen hingewiesen. Die Anfragen des Berliner FDP-Abgeordneten Alexander Ritzmann vom Frühling und Sommer 2006 unter dem Titel: »Fördert der Senat antisemitische Jugenprojekte?« wurde von Staatssekretärin Petra Leuschner (PDS) zurückgewiesen; Shah erfuhr unbeschränkte Rückendeckung aus der Berliner Senatskanzlei, die staatliche Förderung seines antizionistischen Theaterstücks wurde gegen jede Kritik verteidigt.

Solche lokalen Projekte und Bündnisse, vom Linksradikalen bis zum Islamisten, sind keine Ausnahme mehr; vermeintliche ideologische Widersprüche werden durch das gemeinsame Feindbild nivelliert. Ob London oder Berlin: Antisemitische und antiamerikanische Projekte und Bündnisse werden wenigstens auf kommunaler Ebene staatlich sanktioniert, legitimiert, subventioniert. Kritik daran wird zurückgewiesen und bleibt praktisch folgendlos. Den von Staats wegen Verantwortlichen nun Appeasement vorzuwerfen, ist Untertreibung. Sie beschwichtigen nicht, sie fördern.

Innenpolitik: Grenzen des Appeasements

Jenseits solcher sich entwickelnder Bündnisse wird innenpolitisch noch zumeist klassisches Appeasement versucht. Zu sehr besteht die Befürchtung, dass Aktionen der Islamisten nicht nur in Europa geplant, sondern auch in Europa selbst – siehe London und Madrid – verübt werden, zu wenig wagt man die Konfrontation mit einer zunehmenden und zunehmend militanten Minderheit.

Jedem möglichen Konflikt soll die Begründung genommen werden, in dem man die Assoziation mit Israel und den USA und deren vehementem Engagement für westlich-liberale Standards zu vermeiden trachtet. Um die islamistische Rage gegen den Westen von sich abzulenken, wird das Europäische, zunehmend auch wieder das Nationale betont. Man will in den Augen der radikalsten Feinde des Westens keinesfalls als originär westlich angesehen zu werden. Dies gelingt Deutschland aufgrund seiner antiwestlichen und antiliberalen Geschichte nur all zu gut. Ein linker Vordenker dieser Taktik ist der Sozialdemokrat Egon Bahr, einst engster politischer Weggefährte von Bundeskanzler Willy Brandt. Er widerspricht, vom furchtbaren Vergangenen nicht angekränkelt, ausdrücklich dem Historiker Heinrich August Winkler und dessen These von Deutschlands »langem Weg nach Westen« [16]. Bahr gibt sich in seiner positiv gemeinten Wendung »Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal« [17] selbstbewusst und fordert »deutsche Souveränität«. Politische Entscheidungen dürften nicht mehr länger von den alliierten Siegermächten getroffen werden; es sei Zeit für den Schlussstrich: »Die europäische Zukunft ist wichtiger als die deutsche Vergangenheit.« In der fortwährenden Betonung der »Emanzipation« gegenüber dem »sich hegemonial gebenden Amerika« spricht Bahr sich für ein »zivilisiertes Gegenmodell« zu den USA aus. Die rot-grüne Bundesregierung folgte der von Bahr formulierten Linie; Bundeskanzler Schröder übernahm prompt die Vokabel vom »deutschen Weg«, changierend zwischen außenpolitischem Antiamerikanismus und innenpolitischem laisser-faire gegen Islamisten, als Toleranz und Multikultur verbrämt. Damit ist ein erstes Zeichen des klassischen Appeasements gesetzt und geht doch schon darüber hinaus: Verschont uns, wir sind nicht gegen, wir sind mit euch; eure Ranküne gegen Amerika ist die unsere.

Ein zweites Zeichen ist die Bemühung, jede all zu offensive Kritik am Islamismus zu unterdrücken, jede mögliche »Beleidigung« zu unterbinden. Die in vorauseilendem Gehorsam vor dem religiösen Mob exekutierte einstweilige Absetzung von Mozarts »Idomeneo« an der Deutschen Oper in Berlin im Herbst 2006 ist nur ein Beispiel dafür, und nicht einmal das gravierendste. Denn abseits des Kulturbetriebes und abseits größerer öffentlicher Wahrnehmung entwickelt sich der deutsche Staat schon zum unmittelbaren Schutzpatron der Islamisten. Vor Einführung der Scharia genügt vorerst noch das deutsche Gesetz.

Im Januar 2007 wird der 28-jährige David Goldner, Politikwissenschaftler und erklärter Nazigegner, in Bayern wegen § 86a Strafgesetzbuch verurteilt. Der Straftatbestand: »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Er hatte auf einem Werbeflugblatt für eine Veranstaltung zum Band »Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus« [18] das Titelbild des Buches verwendet: mit Hitlergruß salutierende arabische Islamisten. [19] Wenn Islamisten und andere Judenfeinde so unvorteilhaft wie wahrheitsgetreu per Bild in den richtigen politischen Kontext gestellt werden, muss ausgerechnet ihr Kritiker mit staatlicher Verfolgung rechnen. Nicht der »Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten, der auf Juden und Jüdinnen zielt« (so ein Zitat aus dem Flugblatt) wird von deutschen Gerichten unter Strafe gestellt, sondern dessen Abwehr. Damit wird den Islamisten signalisiert, sie könnten sich hierzulande auf ein ruhiges Hinterland verlassen.

Ein anderer Paragraf, der § 166 Strafgesetzbuch, will die »Störung des öffentlichen Friedens« aufgrund der »Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen« verhindern und kommt gegen Kritiker des Islam im letzten Jahr gleich mehrfach zur Anwendung:

Eine Website mit einer Mohammed-Karikatur wird ohne Gerichtsverfahren abgeschaltet, die Betreiber vom Staatsschutz bedroht, ein Gerichtsverfahren läuft [20] . Gegen das Verfahren wendet sich eine Petition, in der festgestellt wird: »...es muss erlaubt sein, religiöse, politische oder öffentliche Autoritäten zu beleidigen, zumal wenn sie seit 1400 Jahren tot sind. Denn wer diese antiautoritäre Freiheit beschneiden will, dringt auf blinden Respekt der Herrschaft – ob diese sich nun islamisch, faschistisch, sozialistisch oder demokratisch nennt.« [21] Doch diese Petition findet wenig Unterstützung. Der bayrische Ministerpräsident fordert gar eine weitere Verschärfung des § 166 und negiert die deutsche Dialektik: Denn der § 166 stellt ja noch nicht per se Religionskritik unter Strafe – so kann das Erbe der Aufklärung weiter behauptet werden – sondern nur jene Kritik, die den »öffentlichen Frieden« zu gefährden droht. Und was diesen »öffentlichen Frieden« nun gefährdet, was also Gotteslästerung ist, so schreibt Felix Mauser über die »Gemeinschaft der Beleidigten«, bestimmt der Mob. [22]

Auch eine als Politsatire platzierte Toilettenpapierrolle mit dem Aufdruck »Koran« führt zum Verfahren, nachdem die iranische Botschaft in Berlin sich beim deutschen Außenministerium beleidigt zeigt. Der Richter weiß: »Aus so etwas kann ein Orkan werden mit unabsehbaren Folgen.« Nach dem Verfahren stellt er zufrieden fest, dass ein »deutliches Zeichen nach außen gesetzt worden« sei«: Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zusätzlich Ableistung von 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit. [23]

Ein solches »deutliches Zeichen« geht an Islamisten und Islamkritiker gleichermaßen: den Islamisten das Appeasement, das begrifflich seine Grenzen schon deutlich überschreitet, den Kritikern die Härte eines Gesetzes, dass zunehmend Scharia-kompatibel erscheint. So versucht man die Djihadisten zu erweichen, nicht hierzulande zu bomben.

Irans »Sicherheitsinteressen«

Mag man der Innenpolitik das Label Appeasement noch nicht versagen, in der Außenpolitik geht der Begriff aber vollends fehl. Wiewohl man sich außenpolitisch noch an die transatlantischen und europäisch-israelischen Partnerschaften formal gebunden zeigt, sieht die politische Realität hier de facto längst schon anders aus.

Human Rights Watch erklärt in einer Presseerklärung im Januar 2007, man erhoffe ausgerechnet von Deutschland, es würde »während der EU-Präsidentschaft die Mitgliedsstaaten der Union dazu drängen, eine globale Führungsrolle in Menschenrechtsfragen zu übernehmen«, um eine »entschlossene und prinzipientreue Politik der EU« herbeizuführen [24]. Was genau damit gemeint sein könnte, wird am konkreten Anlass der Presseerklärung deutlich: Human Rights Watch begeht den »Jahrestag von Guantanamo«. Kenneth Roth, Direktor der Organisation, lobt die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel an Guantanamo und fühlt seine Position durch sie bestätigt: »Da die USA keine glaubwürdige Führungsrolle in Sachen Menschenrechte übernehmen können, sollte Deutschland seine europäischen Partner davon überzeugen, diese Rolle auszufüllen.« Qualifiziert wäre Deutschland, so Human Rights Watch, insbesondere wegen seiner Erfahrungen im Iran.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, scheint solche Erfahrungen mit dem Iran zu haben, er glaubt nämlich, der Iran habe »berechtigte Sicherheitsinteressen in der Region, die nur mit Hilfe der Vereinigten Staaten wirksam angesprochen werden können« [25]. Nicht ist die Rede von der Gefährdung der Sicherheit in der Region durch den Iran, beispielsweise durch die Finanzierung der Hisbollah und der Hamas in ihren Angriffen auf Israel. Im Gegenteil: der als Transatlantiker geltende Außenpolitiker forciert die inzwischen in der Endlosschleife des europäischen Diskurses gelandete Rede von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« des Iran gegenüber den USA. Damit übernimmt er die Position aller Antiamerikaner, der ›wahre Aggressor‹ säße in Washington, nicht in Teheran.

Denn die Vokabel von den »berechtigten Sicherheitsinteressen« impliziert nichts weniger als die Annahme, die Vereinigten Staaten könnten unbegründet und ungerechtfertigt gegen das Mullah-Regime militärisch vorgehen. Die Forderung nach Sicherheitsgarantieren, zu denen ausgerechnet direkte Gespräche zwischen Washington und Teheran beitragen sollen, bedeutet, dass unter keinen Umständen eine Koalition der Willigen die Mullahs militärisch daran hindern soll, die Bombe zu bauen. Die Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« unter gleichzeitigem Verschweigen der Bedrohung durch den Iran – also insbesondere das absichtsvolle Ausblenden israelischer Sicherheitsinteressen – gibt den Mullahs in der letzten Konsequenz sogar darin Recht, wenn sie eine amerikanisch-israelische Gefahr behaupten und sich davor – gegebenenfalls mit Atomraketen – nur zu schützen vorgeben.

Nachdem Polenz mit der Betonung der iranischen »Sicherheitsinteressen« die Anmaßungen der Mullahs unterstützt, versucht er im Gegenzug denen die Legitimation zu nehmen, die auf ein härteres Vorgehen gegen den Iran drängen. Denn er behauptet gegen jede Realität, es wäre »die gesamte Staatengemeinschaft, die verhindern will, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt« und gibt somit implizit Entwarnung. Eine ganze Welt gegen das iranische Atomwaffenprogramm – worum sorgen sich dann Amerika und Israel? Bei so viel Einigkeit erscheinen amerikanisch-israelische Alleingänge gänzlich unnötig, ja kontraproduktiv.

Kein Geringerer als der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, stärkt somit objektiv die Position der Mullahs und schwächt die der Amerikaner und Israelis. Er tut dies stellvertretend für den außenpolitischen Mainstream in Europa.

Was bei Polenz noch diplomatisch und deshalb moderat klingt, drückt Peter Gauweiler, sein konservativer Fraktionskollege und ebenso wie Polenz im Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages tätig, schon deutlicher aus. In einem Interview mit dem Deutschandradio Kultur wirft er mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten der amerikanischen Regierung eine Ausrottungspolitik gegen fremde Kulturen wie dereinst gegen Apachen und Sioux vor und bedauert zutiefst, dass in Washington »diejenigen leider die Oberhand bekommen haben, die in einer falsch verstandenen weltanschaulichen Angeberei jetzt gedacht haben, jetzt sind wir das neue Imperium Romanum« [26]. Wer so sehr gegen das zivilisatorische Engagement der Amerikaner wütet und sich statt dessen auf Seiten der Zivilisationsfeinde engagiert, der ist über klassisches Appeasement schon längst hinaus. Gemeinsam mit den Mullahs, mal diplomatisch codiert, mal offen formuliert, wird Stimmung gegen Amerika und Israel gemacht.

Business Berlin – Teheran

Allenfalls empfiehlt die deutsche Außenpolitik noch »maßvollen Druck« auf den Iran, wie es Polenz formuliert, sowie Anreize »zur wirtschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit«. Selbst wenn die Mullahs dem »maßvollen« Drücken der Europäer nachgeben sollten und auf die Bombe verzichten, so wird als Belohnung von den Europäern darauf abgezielt, dass ein Terrorregime wirtschaftlich und technologisch gestärkt wird. Gegen wen sich das ökonomische und technologische Potenzial der Teheraner aber richtet, hat nicht zuletzt der Krieg der vom Libanon aus operierenden Hisbollah gezeigt. Dergestalt trägt europäische Wirtschafts- und Entwicklungspolitik Früchte.

Dass Teheran heute so solvent und potent dasteht, dazu hat insbesondere die Bundesrepublik erheblich beigetragen. Nicht ohne Genugtuung vermeldet deshalb die Deutsche Botschaft in Teheran:

»Iran ist der wichtigste deutsche Exportmarkt in der gesamten Region Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten. Deutschland ist umgekehrt für Iran ein Hauptlieferland. Deutsche Unternehmen sind in fast allen industriellen Sektoren Irans tätig. Schwerpunkte sind die Petrochemie, Elektrizitätserzeugung und -verteilung, Verkehrstechnik und Automobilindustrie, Schiffbau, Aluminium- und Stahlindustrie sowie der Wasser- und Abwasserbereich. Der Deutsch-Iranische Außenhandel entwickelte sich in den letzten Jahren sehr dynamisch. Der zweistellige Aufwärtstrend der vergangenen Jahre hielt auch im vergangenen Jahr an; 2005 lieferte Deutschland 24% mehr Waren nach Iran und der Iran 18% mehr Waren nach Deutschland als im Vergleichszeitraum 2004.« [27]

Dass Kapitalinteressen durchaus hinter Sicherheitsinteressen zurücktreten können, beweisen die Vereinigten Staaten. Jede Firma, ob amerikanische oder europäische, muss mit erheblichen Problemen rechnen, wenn sie sich im Iran engagiert. Erst auf Druck der USA stoppt beispielsweise die Commerzbank Anfang 2007 als letzte westliche Bank die Dollargeschäfte mit dem Iran; man beuge sich, so ein Sprecher der Bank, dem »moralischen Druck« der USA [28]. Statt die Austrocknung der für die Finanzierung des internationalen Terrorismus so wichtigen Dollartransaktionen zu begrüßen – die Petrodollars werden dabei in die Währungen der Technologie- und Waffenlieferanten der Mullahs getauscht – gibt es in Deutschland vehemente Kritik an den USA, die weit über die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates hinausgehen würden. Das Bundesfinanzministerium stellt heraus, sich nicht am Druck auf die Commerzbank beteiligt zu haben: »Das ist nicht unsere Art von Politik.« Derweil betont die Commerzbank, man werde aber auf jeden Fall das Geschäft der Eurotransaktionen mit Teheran fortsetzen.

Es ist interessanterweise eine wirtschaftsliberale Zeitung, die Financial Times Deutschland, die als eine der wenigen deutschen Stimmen das Ausbleiben wirksamer Sanktionen gegen den Iran bedauert und das Vorgehen der USA, den Iran in der Geschäftswelt »zum Paria« zu machen, begrüßt. Denn die Ökonomie sein ein wichtiger Hebel gegen die Mullahs: »Wenn Teheran erkennt, welch hohen Preis sein Konfrontationskurs hat, kann das nur nützen.« [29] Es ist offensichtlich: wirtschaftliche und politische Interessen treffen sich, wenn Berlin mit Teheran Geschäfte macht. Dass die vernünftige Politik der Amerikaner, den Iran ökonomisch wie politisch zu isolieren, auf so viel deutschen Widerstand stößt, kann mit Kapitalinteressen allein nicht erklärt werden, anderenfalls müssten der Financial Times Deutschland und erst recht den oft als »neoliberale Imperialisten« gescholtenen Amerikanern ökonomisches Desinteresse attestiert werden.

Teheran ökonomisch wie politisch zu stärken, ihre ›legitimen‹ Sicherheitsinteressen gegen die USA zu propagieren, entspringt kaum der deutschen und europäischen Angst vor den Mullahs. Vielmehr scheint, das Gegenteil wäre der Fall.

Eliminatorischer Antizionismus

Was den Nationalsozialisten in Europa nicht gänzlich gelang, droht nun mit der iranischen Bombe zu geschehen. Die ›Endlösung der Judenfrage‹ wird als ›Endlösung der Israelfrage‹ versucht. Der israelische Historiker Benny Morris glaubt, der »zweite Holocaust« sei nicht mehr aufzuhalten. Er weiß, wie sehr dann westlicher und nahöstlicher Wahn zusammengefallen sein werden:

»So wie dem ersten wird auch dem zweiten Holocaust ein Jahrzehnt vorangegangen sein, in dem die Herzen und Hirne auf ihn vorbereitet wurden. Verschiedene Botschaften haben verschiedene Publikumskreise erreicht, aber alle haben nur einem Ziel gedient, der Dämonisierung Israels. Muslimen auf der ganzen Welt wurde beigebracht, dass ›Israel vernichtet werden‹ muss. Die Leute im Westen wurden auf subtilere Art belehrt: ›Israel ist ein rassistischer Unterdrückerstaat‹ und ›Israel ist im Zeitalter des Multikulturalismus ein überflüssiger Anachronismus‹. Generationen von Muslimen und zumindest eine Generation von Leuten im Westen wurden nach solchen Glaubenssätzen erzogen.« [30]

Diese »subtilere Art« im Westen hat Gründe. Wegen Auschwitz als unvollendeter deutscher Tat von europäischem Ausmaß war nach der nationalsozialistischen Niederlage eine Fortsetzung des originär gegen die Juden gerichteten Antisemitismus unmöglich geworden. Antisemitismus als fortwesender Wahn musste sich ›ehrenwerte‹ Formen suchen, die Ranküne sollte sich fortan aus ›einsichtigen‹ Gründen speisen, durfte nicht länger offensiv auf die Judenvernichtung abzielen. Der Nationalsozialismus und mit ihm der rassistische Antisemitismus hatten sich zu sehr desavouiert. Die Bemühungen um eine neue Form, um einen ›antifaschistischen‹ Antisemitismus, gipfelten im eliminatorischen Antizionismus. Das postnationale Europa gegen die jüdische Nation, das postfaschistische Deutschland gegen das faschistische Regime in Israel, die linken Kinder der faschistischen Mörder gegen den ›Vernichtungskrieg‹ Israels gegen die Palästinenser – aus dieser Konstellation erwächst ein Hass aus ›reinem‹ Gewissen, denn er richtet mit ›guten‹ Gründen gegen die Juden, die nun die Zionisten heißen.

Den Krieg gegen Israel unvermittelt zu propagieren verbietet sich nicht zuletzt in Deutschland noch aus der all zu eindringlichen Präsens des Vergangenen. Die Erledigung dieser Vergangenheit wird aber längst schon betrieben, ob im Rahmen der Relativierung der deutschen Verbrechen als universal Bösem oder in der Fokussierung auf deutsches Leid und der entsprechenden Zuspitzung im deutschen Opfergefühl, das in der Täter-Opfer-Verdrehung zwar vom ›alliierten Bombenterror‹, nicht mehr aber von der Shoa etwas wissen will. Solange dieses geschichtsrevisionistische Programm von links und rechts nicht gänzlich abgeschlossen ist, sieht sich zumindest der Antizionist des politischen Establishments noch aus Opportunitätserwägungen zur Zurückhaltung genötigt. Er wünscht sich ein Ende der ›Mauer‹, und nimmt Israel die Möglichkeit zur Selbstverteidigung. Er formuliert die Vision eines ›multiethnischen‹ Staates, und spricht Israel seinen jüdischen Charakter ab. Aus dem antisemitischen Traum vom Ende der Juden ist der antizionistische Traum vom Ende Israels geworden.

In solchen deutsch-europäischen Wünschen und Visionen drückt sich in »subtiler Art« eine Politik aus, durch die der Iran und die von ihm finanzierten Terrorbanden freie Hand erhalten, das einst von Deutschland in Europa nicht zu Ende gebrachte Morden im Nahen Osten endgültig zu erledigen.

Wo europäischer und islamistischer Judenhass konvergieren – gleich ob als Antizionismus in Europa nur schlecht getarnt, als Holocaustleugnung und Holocaustrechtfertigung der Teheraner Konferenz hinreichend explizit oder als Aufruf zum Judenmord bei Hamas und Hisbollah ganz offenbar – da ist die Rede von Appeasement wohl gänzlich hinfällig.

Historische Differenzen

Noch einmal der Blick zurück: So sehr Chamberlain die Nationalsozialisten gewähren ließ und zu lange auf Widerstand verzichtete, seine Feinde hat er keinesfalls massiv ökonomisch gestärkt und aktiv politisch unterstützt. Vor der aggressiven deutschen Außenpolitik hat Chamberlain zwar kapituliert und sie geduldet, er tat dies aber nicht mit dem Verweis auf ›legitime‹ Interessen seiner Feinde. Und die Tschechoslowakei wurde mitnichten als gemeinsames Zielobjekt deutscher Aggressionen und britischer Aversionen verstanden; vielmehr glaubte Chamberlain, durch die Duldung der Annexion des Sudetenlandes wäre der hohe Preis dafür bezahlt, den Fortbestand des tschechoslowakischen Staates überhaupt noch zu sichern. Deshalb auch kommt das Münchner Abkommen ganz ohne jede Rechtfertigung der Annexion tschechoslowakischer Gebiete aus; im Zusatz zum Abkommen wird vielmehr die britische Hoffnung betont, durch eine »internationale Garantie der neuen Grenzen des tschechoslowakischen Staates gegen einen unprovozierten Angriff« würde die deutsche Aggression enden [31].

Wenn Chamberlains Politik Appeasement war, so fällt es schwer, die aktuelle deutsche und europäische Politik gegenüber dem Iran auf den gleichen Begriff zu bringen. Historische Vergleiche können dann besonders fruchtbar sein, wenn sie die Differenzen zwischen einst und heute offenbaren.

Kein Appeasement

Die Rede vom Appeasement, so ist zu schlussfolgern, wird mit Blick auf Europa zunehmend problematischer. Beim Appeasement wird von einer realen Bedrohung durch einen Aggressor ausgegangen. Die Umfragen in Europa sowie die Rede von den »legitimen Sicherheitsinteressen« des Iran zeigen aber, dass der Aggressor eher in den USA und in Israel gesehen wird. Diesen liberalen Demokratien wird viel eher als dem islamfaschistischen Iran ein Angriffskrieg zugetraut. Ein Schlag gegen Teherans Atomanlagen als letzte Option vor der iranischen Bombe würde hierzulande keineswegs akzeptiert werden.

Beim Appeasement wird den Forderungen eines Aggressors nachgegeben. Doch braucht der Iran gar keine Forderungen zu erheben. Die Europäer, allen voran die Deutschen, munitionieren den Iran ökonomisch wie technologisch. Nicht, weil es Teheran mit Drohungen verbunden einfordert, sondern weil es Europas und hier besonders Deutschlands eigenen ökonomischen wie politischen Interessen entspricht. Die ökonomischen liegen auf der Hand, die politischen bestehen in der Stärkung eines Regimes, dass die Amerikaner stellvertretend und in einer Weise düpiert, wie es selbst (noch) nicht gewagt wird. Das Auftrumpfen des Iran gegen den Westen, mithin die Farce im Weltsicherheitsrat, wird in Europa mitnichten als Versagen der europäischen Außenpolitik gewertet, vielmehr als Schmach der Amerikaner goutiert.

Beim Appeasement werden im Rahmen des Beschwichtigens und Nachgebens eigene essenzielle Werte aufgegeben, um den Frieden zu sichern. Doch scheint es zweifelhaft, wie essenziell in Europa noch die Werte von Vernunft und Aufklärung sind, werden sie doch immer mehr einem Kultur- und Werterelativismus geopfert, wird die Rede von universalen Menschenrechten nur gegen die USA und Israel geführt, sonst aber das ›Menschenrecht‹ auf autochthone Kultur propagiert, wie vormodern und unmenschlich sie jeweils auch sei.

So ist es oft verfehlt, heute noch von Appeasement zu reden; ja es grenzt in Teilen gar an Verharmlosung.

Man wünschte sich doch vielmehr, die deutsche und europäische Politik wäre tatsächlich noch richtig mit Appeasement beschrieben, dann könnte man – wie es mit einem Walter Laqueur sicher nicht absurd erschiene – ernsthaft über die Frage der richtigen Mittel gegen einen gemeinsam als Aggressor Erkannten streiten; auch darüber, ob die politische Entwicklung nicht doch noch reversibel sei, ob die Angst vor den Mullahs, die Befürchtung, eine unmittelbare Konfrontation nicht mehr gewinnen zu können, wirklich berechtigt ist.

Vielmehr aber scheint es notwendig, die Gemeinsamkeiten und Interpendenzen zwischen einem postmodern regredierten Alteuropa und dem politischen Islam ernster zu nehmen als die ideologischen und politischen Differenzen, die allemal noch existieren mögen.

Der Antiamerikanismus wie der eliminatorische Antizionismus sind in Alteuropa längst schon mehrheitsfähig; sie werden allenfalls aus Opportunitätserwägungen, auch zur Wahrung des eigenen guten Gewissens, noch diplomatisch codiert. Derweil schreiten die Mullahs von Europa ungehindert zur Tat. Die Instrumente der europäischen wie der internationalen Staatengemeinschaft versagen dabei keinesfalls, geht es doch im Kern darum, die Bemühungen der Amerikaner und Israelis im Nahen und Mittleren Osten scheitern zu lassen. In den aus diesem Grunde höchst belanglosen Resolutionen der Vereinten Nationen gegen die Mullahs, wie der im Dezember 2006 bezüglich des iranischen Atomprogramms verabschiedeten, wird die Mähr der internationalen Verrechtlichung als antiimperialistischem und antimilitaristischem Programm perpetuiert; solche Resolutionen dienen, wiewohl sie mit kritischer Pose auftreten, allenfalls der Schwächung einer notwendig entschiedeneren Position gegen die Bombe der Islamisten.

Was gemeinhin als Appeasement kritisiert wird, ist oft nur noch dessen Simulation. Manchmal nicht einmal mehr das.


[1] Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht. Berlin: Propyläen Verlag 2006

[2] Winston S. Churchill: Reden in Zeiten des Krieges. Hamburg, Wien: Europa Verlag 2002

[3] ebenda

[4] Botschaft von Abu Dudschan al-Afghani, Militärsprecher der al-Qaida, 13. März 2003 (zwei Tage nach den Anschlägen von Madrid)

[5] http://pewresearch.org und http://pewglobal.org/reports/display.php?ReportID=252

[6] http://www.epo.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1672&Itemid=84

[7] http://www.aktuell.ru/russland/wirtschaft/russland_weltmarktfuehrer_beim_waffenexport_1480.html

[8] http://www.aktuell.ru/russland/politik/israel_hofft_auf_russischen_kurswechsel_in_nahost_3215.html

[9] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/11/das-antlitz-des-hugo-c.html

[10] http://onnachrichten.t-online.de/c/10/12/80/84/10128084.html

[11] Hannah Arendt: Zur Zeit. Politische Essays. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1999

[12] Thomas Uwer u.a. (Hg.): Amerika. Der »War on Terror« und der Aufstand der Alten Welt. Freiburg: ça-ira Verlag 2003, dort insbesondere das Vorwort

[13] Melanie Phillips: Londonistan. New York: Encounter Books 2006

[14] zitiert nach: http://lizaswelt.blogspot.com/2006/09/intifada-bhnenreif.html

[15] Berliner Verfassungsschutz: Im Fokus: Antisemitismus. Berlin 2004

[16] Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. München: C. H. Beck Verlag 2000

[17] Egon Bahr: Der deutsche Weg – selbstverständlich und normal. München: Klaus BlessingVerlag 2003

[18] Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira Verlag 2006

[19] http://lizaswelt.blogspot.com/2007/01/garmischer-tragikomdie.html

[20] http://lizaswelt.blogspot.com/2006/02/koranrolle-vorwrts.html

[21] http://www.anti166.tk/

[22] http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web50-1.htm

[23] ebenda

[24] http://hrw.org/german/docs/2007/01/11/global15046.htm

[25] http://www.politikerscreen.de/index.php/Main/Artikel/id/124970/

[26] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/579685/

[27] http://www.teheran.diplo.de/Vertretung/teheran/de/05/Wirtschaft.html

[28] http://www.ftd.de/unternehmen/finanzdienstleister/149140.html

[29] http://www.ftd.de/meinung/kommentare/149316.html

[30] http://www.welt.de/data/2007/01/06/1165992.html?s=2

[31] http://www.glasnost.de/db/DokAus/38muenchen.html


3 Kommentare:

FreeSpeech hat gesagt…

Wir sind eben tolerant. Allerdings vergessen wir dabei, dass Toleranz auf normal und auf muslimisch zwei verschiedene Dinge sind - Toleranz ist Unterwerfung:
http://nebeldeutsch.blogspot.com/2007/01/toleranz.html

Anonym hat gesagt…

Auch nicht schlecht zum Thema:
http://data2.blog.de/media/108/1082108_ffcc985dc2_d.pdf
hier gefunden:
http://freedomwatch.blog.de

M. M. hat gesagt…

In diesem Sinn ist auch die aktuelle ostentative Erregung deutscher Politiker über die neue Berliner Scientology Filiale zu verstehen: Im Gegensatz zum Islam gibt sich Scientology weder antiamerikanisch noch antisemitisch oder gar antiimperialistisch. Damit haben Scientologen bei Politikern und der Öffentlichkeit schlechte Karten, selbst wenn sie die zur Berliner Eröffnungsfete Geladenen aus der ganzen Welt herankarren mußten, da weder die Berliner noch die europäischen Unterstützer ausgereicht haben.

Keine Mißverständnisse bitte: Scientology ist ein Drecksverein – nur stellt er im Vergleich zum Islam, der per EU-Direktiven und Politikerphrasen zur Bereicherung Europas erklärt wird, eine geringe Gefahr dar. Allein schon die -falsche und dumme- Unterstützung der amerikanischen Regierung garantiert für alle Zeiten den scientologischen Mißerfolg in Europa - für den Islam sieht es genau andersherum aus. Was allein noch eine Chance verspricht, ist ausgerechnet der Rassismus und Nationalismus des europäischen Durchschnittsbürgers, der Muslime in erster Linie im Ausland, aber nicht in der Nachbarschaft gutheißt. Wir leben in interessanten Zeiten.